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Soziale Distanz ist
keine Einbahnstraße

Psychologen: Anonyme Studie zur »Islamophobie«

Bielefeld (sas). Lehrer, Erzieher, Polizisten sind »super politisch korrekt«, wenn sie Fragen nach ihrem Verhältnis zu Ausländern, insbesondere zu Muslimen beantworten sollen. »Erwischt« werden sie aber, wenn sie Emotionales gefragt werden: Dann gestehen auch sie, dass sie es nicht gerne sähen, wenn ihre Kinder in eine muslimische Familie einheiraten würden oder ihre Nachbarn zu Allah beten.

6532 anonyme Fragebögen haben die Psychologen Prof. Dr. Rainer Dollase, Dr. Kai-Christian Koch und drei studentische Mitarbeiter erhoben und ausgewertet für eine Untersuchung über die Islambilder in der multikulturellen Bevölkerung und die Integration von Muslimen. 900 Fragen haben sie formuliert, ihren Fragebogen in mehreren Versionen vorgelegt. Das Besondere an ihrer Studie, die vom Bundeswissenschaftsministerium gefördert wurde, ist nicht nur der Umfang: Es ist auch die weltweit einzige Untersuchung, die nach Berufsgruppen unterscheidet.
Gezielt wurden Angestellte, Lehrer, Erzieher, Krankenhauspersonal, Polizisten, Journalisten, Sozialpädagogen, Studenten und Schüler der Sekundarstufe I und II befragt: »Menschen, die durch Beruf oder Schule viele Kontakte zu Muslimen haben und bei denen man anknüpfen kann, um etwas zu erreichen.« Vermerken sollten die Befragten auch, wann sie den Fragebogen ausgefüllt haben, um zu kontrollieren, ob aktuelle Ereignisse - wie die Terroranschläge in London oder Madrid - die Antworten beeinflussten. Ebenso wurden provozierende oder pauschalierende Fragen eingebaut, um zu testen, ob die Antworten stimmig sind, und waren kleine Geschichten zu bewerten - wie die von den zwei Türkinnen, die im Krankenhaus eine ältere Mitpatientin am Sonntag nicht den Gottesdienst im Fernsehen verfolgen lassen.
»Im Vergleich zu einer Studie, die Ende der 90er Jahre verfasst wurde, werden die Muslime heute schlechter bewertet«, bilanziert Dollase. Ebenso aber, merkt er an, sei die Zufriedenheit mit der eigenen Religion gesunken. Aber selbst bei denen, die Ausländern und fremden Kulturen gegenüber starke Skepsis äußerten, wurde in Kontrollfragen deutlich, dass sie Diskriminierung, Pöbeleien oder gar Gewalt ablehnen. Die hypothetische Frage, was geschehen müsste, damit sich die Meinung über Muslime verschlechtere, wurde mit Sätzen wie »Wenn sie sich über Anschläge freuen würden« oder »Wenn in der Nachbarschaft eine Moschee errichtet würde« beantwortet. »Ähnlich kritisch wurden aber auch christliche Fundamentalisten, die sich abschotten, beurteilt«, merkt Dollase an.
Einseitig ist die soziale Distanz ohnehin nicht, wie die Auswertung der 444 Fragebögen, die von Muslimen ausgefüllt wurden, ergab: Türkische Jugendliche können sich eine Einheirat in eine christliche Familie genausowenig vorstellen wie ihre deutschen Mitschüler. »Die Vorurteile der Ausländer sind oft noch schärfer.«
Einen höheren Stellenwert hat bei ihnen auch die Religion, die den Deutschen weniger wichtig ist: Für die Beurteilung eines Menschen ziehen sie eher Bildungsniveau und Beruf als Kriterium heran. »Interessant ist, dass religiöse Deutsche toleranter gegenüber anderen Glaubensrichtungen sind. Offenbar haben sie mehr Ver-ständnis für die Religiosität anderer«, bilanzieren die Psychologen.
Um die Beziehungen und das Miteinander zu verbessern, so Dollase, seien private Kontakte sowie in Schule und Beruf das gemeinsame Arbeiten an einem Projekt wichtig. »Das erzeugt ein Wir-Gefühl.« Er setzt auf informelle, soziale Integration. Für interkulturelle Projekte in Schulen bringt Dollase wenig Sympathie auf: »Sie betonen eher die Unterschiede. Für mich ist dieser Kulturalismus eher der Rassismus der Intellektuellen, der nur Grenzen schafft.«
Entspannter gehen die Menschen zudem miteinander um, wenn sie mit sich und ihrem eigenen Leben im Reinen sind: »Je höher die Zufriedenheit, desto offener.« Ansonsten hat die Studie bestätigt, was der Volksmund schon sagt: »Gleich und gleich gesellt sich gern.«

Artikel vom 03.03.2006