24.02.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Psycho und Sibelius

Drama um Musikliebhaber aus entfernten Lebenswelten

Arte, 20.40 Uhr: Morgen soll Rémi nach sechs Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen werden. Am Abend vorher hört er sich noch ein klassisches Konzert an.

Das Sinfonieorchester unter der Leitung des berühmten Dirigenten Haffner spielt in der Haftanstalt Jean Sibelius' fünfte Sinfonie. Rémi (Jérôme Robart) ist fasziniert, von der Musik und dem Dirigenten (Rüdiger Vogler). Beide sind »Gefangene der Musik«, so der Titel des ersten Spielfilms von Regisseur Mario Fanfani. Der deutsch-französische Kulturkanal strahlt das Drama über die Magie der Musik heute als TV-Premiere aus.
Nach dem Konzert im Gefängnis geht für Haffner der Alltag weiter. Er bereitet sich auf die kommende Saison vor, die nach zehn Jahren wieder ganz im Zeichen des finnischen Komponisten Sibelius steht. Sein Sohn Johann (Nicolas Bridet) verlangt knapp und barsch Geld für neue Studien, doch der Vater ist sich im Klaren darüber, dass das Geld für Drogen ausgegeben werden soll. Trotzdem will er in den kommenden Tagen das Geld für Johann bereit halten.
Rémi macht sich auf die Suche nach einem Arbeitsplatz und findet ihn in einer Druckerei, wo er sich allerdings unterfordert fühlt. Es dauert nicht lange, und er gerät wegen einer Lappalie in Streit mit seinem Vorgesetzten. Kurzerhand kündigt er, verlässt seine Schwester ohne Abschied und zieht in ein schäbiges Hotelzimmer. Als er bald darauf eine Karte für eines von Haffners Konzerten ergattert, nimmt ihn die Musik wieder gefangen.
In der Pause schleicht er sich hinter die Kulissen und begegnet dort Haffner, der ihn für den Boten seines Sohnes hält. Rémi kann dieses Missverständnis nicht aufklären. Und doch wird Haffner, als er ihn bei einer anderen Probe entdeckt, von Rémis unverbildeter Liebe zur Musik angesteckt. Es entwickelt sich eine Freundschaft, die jedoch starken Belastungen ausgesetzt ist. Unter Alkoholeinfluss ist Dirigent Haffner ein freundlicher Mensch. Ist er jedoch nüchtern, wird er unausstehlich.
Laut Arte-Ankündigung ließ sich Regisseur und Drehbuchautor Fanfani bei der Figur des Haffner von Jean-Claude Casadesus inspirieren, dem Chefdirigenten der Philharmonie in Lille. Auch Casadesus trat mit seinem Orchester in Gefängnissen auf. In der vergangenen Woche hat Arte sowohl ein Porträt der Künstlerdynastie Casadesus als auch die Übertragung einer Aufführung gesendet, bei der Casadesus Mozarts Klarinettenkonzert dirigierte.
Haffner-Darsteller Vogler schaffte seinen Durchbruch in den Wim-Wenders-Streifen »Alice in den Städten« (1974) und »Im Lauf der Zeit« (1976).

Artikel vom 24.02.2006