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Müntefering: »Alle
müssen aufs Spielfeld«

SPD mahnt Union zu mehr Einsatz in der Innenpolitik

Berlin (Reuters). Die SPD mahnt Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Union zu einem verstärkten Engagement in der Steuer- und Arbeitsmarktpolitik. »Ich denke schon, dass die Kanzlerin sich innenpolitisch mehr engagieren sollte«, sagte SPD-Fraktionschef Peter Struck am Samstag zur Bilanz der SPD nach knapp 100 Tagen in der großen Koalition mit der Union.

Es sei nicht nur Sache von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD), den Bürgern die geplante Mehrwertsteuererhöhung zu erklären. Vizekanzler Franz Müntefering forderte, alle in der Koalition müssten mit aufs Spielfeld und sich ernsthaft daran beteiligen, die Probleme im Land zu lösen und das Reformtempo zu erhöhen.
CSU-Chef Edmund Stoiber appellierte an die SPD, trotz ihres Umfragetiefs die Koalitionsdisziplin zu wahren. Die Sozialdemokraten kommen in Wahlumfragen derzeit auf 30 Prozent der Stimmen und liegen damit etwa zehn Punkte hinter der Union.
SPD-Chef Matthias Platzeck betonte, die Sozialdemokraten hätten genug Gelassenheit, um sich weiter auf die Belebung von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung zu konzentrieren. »Die SPD ist dabei Motor und Ideengeber, aber auch das soziale Gewissen dieser Koalition«, sagte Platzeck. Die Felder Familie, Bildung, Gesundheit, Europa, Energiepolitik und Mindestlöhne nannte er als Schwerpunktthemen der SPD. Seine Partei wolle 2009 wieder den Kanzler stellen. Auf eine eigene Kanzlerkandidatur wollte sich der Parteivorsitzende allerdings noch nicht festlegen.
Das Kabinett hatte am Mittwoch die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik beschlossen. Struck mahnte den Koalitionspartner eindringlich mitzuhelfen, die Pläne den Bürgern zu erklären. »Jetzt ist die gesamte Koalition gefordert und nicht nur die Fachminister.« Müntefering verlangte, alle Koalitionäre müssten in der Innenpolitik dringend mit »einer größeren Schlagzahl« arbeiten. In der SPD wird befürchtet, durch die Zuständigkeit für politische Problemfelder wie Arbeitsmarkt und Finanzen in den Umfragen und bei Wahlen dauerhaft schlechter abzuschneiden als die Union.
Stoiber warnte den Koalitionspartner, Streitigkeiten nach gerade einmal 100 Tagen im Amt führten nicht weiter. CDU, CSU und SPD müssten nun die großen Probleme des Landes anpacken. »Dabei wäre es nicht hilfreich, wenn die SPD wegen einiger Umfragen da jetzt Unruhe hineinträgt«, sagte der bayerische Ministerpräsident. Zuletzt hatte es in der Koalition Streit über die Familienförderung und die Rente mit 67 gegeben. Auch bei der geplanten Lockerung des Kündigungsschutzes zeichnen sich schon Meinungsverschiedenheiten ab.
Arbeitsminister Müntefering bekräftigte seine Pläne zur verstärkten Förderung junger Arbeitsloser unter 25 Jahren und älterer Arbeitnehmer ab 50 Jahren. »Diese Initiative '50 Plus' wird sich noch vor der Sommerpause konkretisieren.« So sollten vermehrt Einkommenszuschüsse genutzt werden.
SPD-Fraktionschef Struck kündigte Änderungsvorschläge seiner Abgeordneten zu den Plänen von Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) an, Kürzungen im öffentlichen Dienst und Einschnitte bei den Mitteln für Bürgerinitiativen gegen rechtsextreme Umtriebe vorzunehmen. Zusammen mit der Union werde außerdem geprüft, ob die Familienförderung auf neue Grundlagen gestellt werde und die Gelder anders verteilt werden könnten als bisher.
Platzeck unterstrich die Notwendigkeit eines Umbaus des Gesundheitssystems, der von April an in der Koalition diskutiert werden soll und als Zerreißprobe für das Regierungsbündnis gilt.

Artikel vom 27.02.2006