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Leitartikel
Unterschiede erkennen

Kultur und
Mentalität
sind anders


Von Andreas Schnadwinkel
Bis auf die Nachfolgestaaten der Sowjetunion würden alle Länder Europas in 20 Jahren Mitglied der Europäischen Union (EU) sein. Das prognostiziert der deutsche EU-Kommissar Günter Verheugen (SPD). 25 Staaten scheinen den Bürgern schon jetzt weit mehr als genug. Besonders groß ist die Ablehnung der EU-Bevölkerung in Sachen Türkei. Wie enorm die entscheidenden kulturellen Unterschiede sind, macht die aktuelle Diskussion über einen türkischen Film deutlich, der in mehr als 60 deutschen Kinos zu sehen ist. »Tal der Wölfe« verpackt antiwestliche Ressentiments in eine krude Actionhandlung. In dem Streifen rächen sich ein paar Türken an US-amerikanischen Soldaten für deren Einsatz im kurdischen Nordirak.
Silvana Koch-Mehrin, für die FDP im Europaparlament, gibt zu bedenken, dass man den Film nicht zensieren und aus den Kinos nehmen dürfe. Sonst begäbe man sich auf das Niveau der arabischen Regimes im Karikaturenstreit und schade der Meinungsfreiheit. Edmund Stoiber fordert von der türkischen Regierung, sich von dem Machwerk zu distanzieren, weil »diese Radikalisierung gegen Europa überhaupt nicht zum von der Türkei angestrebten Weg in die EU passt«.
Im Herkunftsland bricht »Tal der Wölfe« Einspielrekorde. »Die Partei, die sich die Botschaft des Films zu eigen macht, wird die nächsten Parlamentswahlen haushoch gewinnen«, mutmaßt ein »Hürriyet«-Kommentator. Sollte dies die AKP-Partei des amtierenden Ministerpräsidenten Erdogan sein, der die EU-Beitrittsverhandlungen extrem forciert hat, müsste Brüssel die Konsequenzen ziehen und die Gespräche mit der Türkei aussetzen.
»Tal der Wölfe« jedoch bei uns zu verbieten, wäre Unsinn. Im Gegenteil: Aus den Reaktionen der hier lebenden Türken und türkischstämmigen Pass-Deutschen auf den Film müssen Lehren und Schlüsse gezogen werden. Sollte die Türkei in zehn Jahren Vollmitglied der EU werden - die derzeitigen geopolitischen Entwicklungen sprechen sachlich dafür - müsste das Kommunalwahlrecht für EU-Bürger geändert oder abgeschafft werden. Man stelle sich vor, die Millionen in Deutschland lebenden Türken könnten als EU-Bürger in Berlin, Stuttgart, Bielefeld und anderswo über Stadt- und Gemeinderäte mitbestimmen. Dann hätte Grün-Rot in Großstädten mit mehr als 200 000 Einwohnern auf Sicht eine strukturelle Mehrheit. Doch dabei denken Multikulti-Träumer zu kurz: Spätestens bei der zweiten Kommunalwahl gäbe es deutsch-türkische Parteien, die eigene Interessen durchzusetzen versuchen würden und zu diesem Zweck Bündnisse eingingen.
Wer den durchaus berechtigten Einwand hat, dass gerade das kommunale Wahlrecht zur Integration beitrage, sollte sich »Tal der Wölfe« anschauen. Wer die Resonanz richtig deutet, wird zu dem Schluss kommen, dass politisch durchgesetzte Forderungen zu noch mehr gewollter Ausgrenzung führen könnten.

Artikel vom 27.02.2006