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Der normale Werder-Wahnsinn

Bremens Mannschaft berauscht sich beim 3:2 gegen Turin am eigenen Spiel

Bremen (dpa). So euphorisch und so glückselig war Thomas Schaaf seit dem Gewinn des Doubles 2004 nicht mehr. Aber angesichts des atemberaubenden Fußball-Spektakels bei der 3:2-Aufholjagd gegen Juventus Turin geriet sogar der sonst so spröde Bremer Trainer ins Schwärmen.
»Die Mannschaft hat uns einen fantastischen Abend geboten. Sie hat sich berauscht am eigenen Spiel«, jubilierte Schaaf nach dem fast schon ganz normalen Werder-Wahnsinn. Und er gestand: »Da denkst du auf der Bank: Bist du verrückt?« Ähnlich dürften viele der 36 500 Zuschauer im Weserstadion gedacht haben. Sie erlebten eine dieser magischen Nächte, wie es sie in dieser Häufigkeit und Intensität nur in Bremen gibt.
Ungeachtet des Risikos, im Rückspiel in Turin am 7. März das Viertelfinale der Champions League noch zu verpassen, sagte Schaaf nach dem Abenteuer-Fußball seines Teams auch den wichtigsten Satz dieses einmaligen Abends: »Dieses Spiel kann uns keiner mehr nehmen.«
Die Eckdaten der Partie sind schnell zusammengefasst, geben das Erlebnis der rauschenden Ballnacht jedoch nur unvollkommen wieder. Nach Werders Weltklasse-Leistung in der ersten Halbzeit mit dem Treffer von Christian Schulz (39.) drehte das Star-Ensemble des italienischen Rekordmeisters durch Pavel Nedved (73.) und David Trezeguet (81.) die Partie - ehe die späten Tore von Tim Borowski (87.) und Johan Micoud (90.+2) das ohnehin schon gute Spiel zu einem unvergesslichen Ereignis machten.
Das Duell war so mitreißend, dass Schaaf sogar einen seltenen Einblick in seine Gedanken während der Partie gab. »Ich war selbst überrascht, dass die Mannschaft so gut ins Spiel zurückgefunden hat«, berichtete er über seine Zweifel auf der Bank. Die Energieleistung gegen eine der besten Clubmannschaften der Welt war für Werder jedoch mehr als nur Unterhaltung auf höchstem Fußball-Niveau. Sie war knapp ein Jahr nach den beiden Debakeln gegen Olympique Lyon, deren zehn Gegentore beim 0:3 und beim 2:7 viele Bremer immer noch schmerzen, Reifeprüfung und Rehabilitation zugleich.
»Die Mannschaft hat dazugelernt«, kommentierte Manager Klaus Allofs. Das Spiel habe gezeigt, »dass in unserer Mannschaft das Sieger-Gen steckt«. Die Bremer seien auf die Schlappe gegen Lyon immer wieder angesprochen worden. »Jetzt haben wir da einiges gerade gerückt.« Schaaf lobte: »Die Art und Weise, wie wir in der ersten Halbzeit gespielt, kombiniert, uns bewegt, die Bälle nach vorn gebracht und den Abschluss gesucht haben, war großartig.« Anders als gegen die Franzosen stürmte Werder dieses Mal aber nicht ins Verderben, sondern zeigte - abgesehen von ein paar wenigen Szenen - eine deutlich konzentriertere Defensivleistung.
Während Schaaf die Partie mit leuchtenden Augen kommentierte, wirkte sein Turiner Kollege mürrisch. »Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in einem so wichtigen Spiel in den letzten Minuten mit solchen Toren noch verloren habe«, sagte Fabio Capello. Trotzig erklärte er: »Es gibt keinen Komplex gegen deutsche Mannschaften. Wir haben gegen die Bayern zu Hause gewonnen, und wir werden auch Bremen im Rückspiel besiegen.«
Doch den Hanseaten, denen in Turin ein Unentschieden reicht, hat der Kraftakt weiteres Selbstvertrauen gegeben. »Mit unserer Mannschaft ist sehr, sehr viel möglich«, sagte Miroslav Klose, der bei seinem Comeback nach einer Schulterverletzung bis zur Erschöpfung kämpfte und mit einem Krampf ausgewechselt werden musste. Und Sturmpartner Klasnic ergänzte: »Unsere Maschine läuft langsam wieder an.«

Artikel vom 24.02.2006