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Anschlag trifft Irak in kritischer Phase

Schiiten im Irak rächen sich mit Angriffen auf sunnitische Moscheen

Bagdad (dpa). Extremisten haben gestern im Irak eines der wichtigsten Heiligtümer der schiitischen Muslime mit einem Sprengstoffanschlag schwer beschädigt. Die Explosion brachte die imposante Goldkuppel des auch als »Goldene Moschee« bekannten Askari-Schreins in der nordirakischen Stadt Samarra zum Einsturz.
Ein Mensch starb, zwei weitere wurden nach Polizeiangaben verletzt. Zehntausende aufgebrachte Schiiten gingen danach im ganzen Land auf die Straße. Die sunnitische Islam-Partei registrierte als Reaktion auf den Terroranschlag 29 Angriffe gegen sunnitische Moscheen im Irak. Sechs Sunniten sollen bei Ausschreitungen ums Leben gekommen sein.
Nach Angaben von Augenzeugen hatten bewaffnete Männer, die Uniformen einer Einheit des Innenministeriums trugen, am frühen Morgen die Wachmänner vor dem Schrein überwältigt und gefesselt. Dann hätten sie drei Sprengsätze in der Moschee platziert, hieß es. Der nationale Sicherheitsberater, Muwaffak al-Rubai, sagte, zehn Verdächtige seien festgenommen worden. Er machte das Terrornetz El Kaida im Irak des Jordaniers Abu Mussab al-Sarkawi für den Anschlag verantwortlich. Übergangsministerpräsident Ibrahim al-Dschafari sagte: »Es gibt Leute, die die Sicherheitskräfte unterwandert haben.«
Der Askari-Schrein beherbergt die letzte Ruhestätte zweier von den Schiiten verehrter Heiliger, die des Imam Ali Ibn Mohammed al-Hadi und die seines Sohnes Imam Hassan al-Askari. Das Mausoleum zieht jedes Jahr tausende Pilger aus aller Welt an. Da auch zwei weibliche Angehörige der Familie des Propheten Mohammed dort begraben sind, pflegen dort auch sunnitische Gläubige zu beten. Samarra liegt 125 Kilometer nördlich von Bagdad im so genannten sunnitischen Dreieck, in dem es die meisten Aktivitäten von Aufständischen und islamistischen Extremisten gibt.
In der heiklen Phase einer schwierigen Regierungsbildung wurde eine Eskalation der Gewalt zwischen den Volksgruppen im Irak befürchtet. Nach den Parlamentswahlen vom vergangenen Dezember, die eine relative Mehrheit für die Schiiten-Allianz erbracht hatte, wird derzeit in Bagdad versucht, eine Regierung unter Einbindung von kurdischen und sunnitischen Parteien zu formen.
Übergangspräsident Dschalal Talabani, ein Kurde, erklärte: »Das Ziel dieses Verbrechens ist es, Zwietracht zwischen den verschiedenen Religionsgruppen zu säen.« Dschafari ordnete eine dreitägige Staatstrauer an.
Das geistige Oberhaupt der Schiiten im Irak, Großajatollah Ali al-Sistani, rief zu friedlichen Protestkundgebungen auf. Tausende Demonstranten, darunter zahlreiche Religionsgelehrte, versammelten sich nach dem Anschlag bei dem beschädigten Heiligtum. Sie forderten lautstark, dass es für die Täter keine Gnade geben dürfe. Sie riefen »Gott ist groß« und »Tod Amerika«. Einige Demonstranten warfen Steine auf die Sicherheitskräfte des Innenministeriums, denen sie vorwarfen, das Heiligtum nicht hinreichend geschützt zu haben. Auch in Bagdad und anderen Städten des Landes demonstrierten aufgebrachte Schiiten.
Die USA sprachen von einem verabscheuungswürdigen Verbrechen. Diese Tat zeige, dass die Terroristen vor nichts halt machten, hieß es in einer Erklärung vom US-Botschafter im Irak, Zalmay Khalilzad. Der radikale schiitische Kleriker Muktada al-Sadr machte den Westen für die Tat verantwortlich.
Bei weiteren Gewalttaten kamen im Irak gestern mindestens acht Menschen ums Leben.

Artikel vom 23.02.2006