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Großes Vertrauen: Kauder will
mit Struck Motorrad fahren

100-Tage-Bilanz der großen Koalition - »Sind doch eine prächtige Truppe«

Von Joachim Schucht
Berlin (dpa). Die gegenseitigen Komplimente wollten kaum enden. Kein böses Wort über den anderen kam dem Trio über die Lippen. Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) brachte das allgemeine Selbstlob mit leicht ironischem Unterton so auf den Punkt: »Wir sind doch eine prächtige Truppe.«
Peter Ramsauer, Volker Kauder und Peter Struck (v.l.) lobten gestern bei einem gemeinsamen Auftritt die gute Zusammenarbeit in der großen Koalition. Am 1. März sind Union und SPD 100 Tage im Amt. Foto: dpa
Schon eine Woche vor dem eigentlichen Ereignis präsentierten die Fraktionsvorsitzenden gestern in Berlin eine Erfolgsbilanz für die ersten 100 Tage der großen Koalition. Bis zum Stichtag, dem 1. März, wollte man lieber nicht warten, weil der Jubiläums-Termin mit Aschermittwoch zusammenfällt. Und das hätte vielleicht dem einen oder anderen Kommentator die Vorlage zu der Anmerkung gegeben, dass die tollen Tage auch für die neue Regierungsmannschaft nun vorbei seien.
Diesen Eindruck wollten Kauder, sein SPD-Kollege Peter Struck und CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer vermeiden. Auch persönlich verstehe man sich glänzend, gaben die drei zu verstehen. Struck und Ramsauer sind schon seit gemeinsamen Tagen in der Bundestags-Fußballmannschaft auf Du.
Mit Kauder duzt sich der SPD-Mann erst seit der Genshagener Koalitionsklausur im Januar. Das Vertrauen zwischen beiden ist aber schon so gefestigt, dass Kauder demnächst auf Strucks Angebot eingehen will, als Sozius auf dem Motorrad des SPD-Kollegen Platz zu nehmen. Dass Struck »ein anständiger Kerl« sei, auf den man sich verlassen könne, ist für Kauder auch eine Erfahrung der ersten drei Monate der Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten.
»Hervorragendes, freundschaftliches Arbeitsklima.« »Dem Erfolg verpflichtet.« »Das Gespann Angela Merkel und Franz Müntefering hat für eine andere Stimmung im Lande gesorgt.« So oder ähnlich hieß es vor allem von Unions-Seite immer wieder. Man sei nicht mehr auf einem Abenteuerspielplatz, wo jeder schon frühmorgens darüber nachdenke, wie man dem anderen ein Bein stellen könne, zeigte sich Kauder angetan über das »einfache Erfolgsgeheimnis« des Bündnisses. »Wir haben aber nicht vor zu fusionieren«, lautete eine Einschränkung.
So viel Harmonie ging Struck dann doch etwas zu weit. Einige Spitzen wollte er sich nicht verkneifen. Die Fortsetzung der Koalition mit den Grünen wäre ihm persönlich lieber gewesen, stellte er klar. Und im Vergleich zu früheren Äußerungen hörte sich das Lob über die bisherigen Leistungen der Kanzlerin längst nicht mehr so überschwänglich an. Sie arbeite »ordentlich«, vergab der SPD-Fraktionschef als Arbeitsnote. Nachdem die Zeit der roten Teppiche für die Kanzlerin endgültig vorbei sei, müsse sie nun auch in den anstehenden innenpolitischen Klärungen »stehen«. Auf jeden Fall werde der Anteil der Sozialdemokraten dabei deutlich werden.
Mit einem kecken Spruch in Richtung seines Parteichefs Edmund Stoiber fiel bei dem Auftritt des Trios Peter Ramsauer auf. Die an Struck gerichtete Frage, ob denn SPD-Chef Matthias Platzeck vor Ablauf der Legislaturperiode ins Bundeskabinett wechseln werde, beantwortete der eigentlich nicht angesprochene CSU-Landesgruppenchef mit den Worten: »Wenn Stoiber eintritt, kommt auch Platzeck.«
Platzeck selbst lehnte gestern einen Wechsel ins Bundeskabinett erneut ab: »Wir haben in der SPD- Spitze eine vernünftige und klare Arbeitsteilung. Dabei bleibt es.«
Platzeck beklagte die Außenwirkung der Sozialdemokraten und zeigte sich mit den Umfragewerten ganz und gar nicht zufrieden. Nach einer Umfrage sind die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD in der Wählergunst leicht um jeweils einen Prozentpunkt gesunken. Die Union kam auf 39 Prozent und geriet damit wieder unter die 40-Prozent-Marke. Die SPD erreichte 28 Prozent, ergab die wöchentliche Forsa-Umfrage von »Stern« und RTL bei 2500 Bürgern. Dagegen konnten sich FDP (10 Prozent) und Linkspartei (9 Prozent) etwas erholen und im Vergleich zur Vorwoche je einen Punkt zulegen. Die Zustimmung für die Grünen blieb konstant bei 9 Prozent.
Könnten die Bürger den Bundeskanzler direkt wählen, würden derzeit 53 Prozent für Angela Merkel (CDU) stimmen. Beim SPD-Vorsitzenden Matthias Platzeck würden 23 Prozent ihr Kreuz machen.

Artikel vom 23.02.2006