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Silber für die geborene Zweite

Claudia Künzel sprintet auch in der Einzel-Entscheidung mitten ins Glück

Turin (dpa). Nach ihrem Silber-Spurt stürmte Claudia Künzel in die Arme ihres Ehemannes Trond Nystad und genoss den ersten Gewinn einer olympischen Einzel-Medaille.Olympische Überraschung: Chandra Crawford holt Gold.
In einem dramatischen Finish sicherte sich die Oberwiesenthalerin hinter Olympiasiegerin Chandra Crawford (Kanada) den zweiten Platz im Langlauf-Sprint vor der Russin Alena Sidko und durfte sich wenig später freudestrahlend das erhoffte Edelmetall um den Hals hängen lassen. »Das war ein guter Tag, ich bin sehr glücklich«, sagte Künzel.
Im Finale musste die Sächsin nur Crawford den Vortritt lassen. Die Kanadierin setzte sich ähnlich souverän wie der Schwede Björn Lind bei den Herren durch. »Sie war sehr stark. Es ist keine Schande, gegen sie verloren zu haben«, kommentierte Künzel den Ausgang. Die 28-Jährige hatte sich zuvor als Siegerin ihres Viertel- und Halbfinals für den Endlauf qualifiziert. »Ich hatte sehr gute Ski«, sagte die Hobby-Malerin.
Obwohl sich der Gold-Traum nicht erfüllte, kam bei Künzel keine Wehmut auf. »Ich bin das zweite von drei Kindern - also eine geborene Zweite. Insofern habe ich mich daran gewöhnt«, erklärte die Vize-Weltmeisterin von 2003. Zur Halbzeit des Finalrennens hatte Künzel mit einem gewagten Überholmanöver an der Spitzkehre sogar die Führung übernommen, was sich später jedoch als taktischer Fehler erwies. »Ich wollte nicht als Letzte auf die Abfahrt, Crawford nicht als Erste. Deshalb hat sie mich vorgelassen. Das war nicht gut für mich«, schilderte sie die Situation.
Nach der Abfahrt löste sich Crawford aus Künzels Windschatten und lief ungefährdet zum Erfolg. »Ich habe auf den Sprint-Wettbewerb gewartet und den Endspurt trainiert«, berichtete die Überraschungs-Olympiasiegerin, die vorher keiner auf der Rechnung hatte. »Es wäre schön, wenn mehr solche Sexbomben auftauchen. Das würde unseren Sport noch attraktiver machen«, sagte Künzel, die nicht einmal den Namen ihrer Rivalin kannte.
Mit der zweiten Silbermedaille in Pragelato belohnte sich die Studentin für Grafik-Design für ihre harte Arbeit. In der Saisonvorbereitung war sie mit ihrem Ehemann, der Trainer der amerikanischen Langläufer ist, oft eigene Wege gegangen. »Claudia ist sehr selbstständig und hält sich an die Absprachen. Sie arbeitet sehr zielbewusst«, lobte Bundestrainer Jochen Behle. Einen Interessenkonflikt mit Nystad gebe es nicht. »Wir sprechen über Inhalte, aber er mischt sich nicht ein und hält sich im Hintergrund«, sagte Behle.
Der hatte zuvor Manuela Henkel trösten müssen, die nach dem Aus im Viertelfinale bitterlich weinte. Im Duell mit der Finnin Virpi Kuitunen fehlten ihr nur 0,2 Sekunden zum Weiterkommen. »Ich hatte meine Chance gewittert, aber die Außenbahn war zu lang«, sagte die in Tränen aufgelöste Oberhoferin. Nach dem Silber-Lauf von ihrer Mannschaftskollegin Künzel hatte sie ihre gute Laune aber schnell wiedergefunden. »Heute lassen wir die Sau raus«, kündigte Henkel eine lange Party-Nacht an.

Artikel vom 23.02.2006