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Deutschland

Countdown für Klinsmanns Kandidaten

Mit dem Länderspiel-Klassiker gegen Italien beginnt für Deutschland heute die heiße WM-Phase. Und Jürgen Klinsmann ist nicht nur der Freund aller Nationalspieler. Der Bundestrainer trifft personelle Entscheidungen, die den Kandidaten zeigen: Von jetzt an gilt es.


So fehlt in Florenz Kevin Kuranyi im Aufgebot. Dem Schalker Stürmer verpasste der Chefcoach einen Dämpfer. Kevin - allein zu Haus. Klinsmann will Kuranyi kitzeln. Der hat offenbar verstanden, traf nach seiner Ausmusterung im UEFA-Cup und in der Bundesliga. Die Präventiv-Maßnahme gegen den Schlendrian dürften auch die anderen kapiert haben. Von nun an stehen die Nationalteam-Mitglieder unter noch intensiverer Beobachtung als ohnehin schon. Der Bundestrainer will nur die Besten haben, er filtert seine Elite heraus.
Aber manchmal wird die gar nicht an den Ball gelassen. Denn der 41 Jahre alte Schwabe setzt auch auf passives Personal. Hier sind ein paar Namen, die in der Aufstellung ihrer Arbeitgeber nicht immer, nur gelegentlich oder meistens überhaupt nicht zu finden sind: Robert Huth, Sebastian Deisler, Bastian Schweinsteiger, Christoph Metzelder, Patrick Owomoyela. Auch bei Klinsmann müssen Grundsätze daran glauben. Das Prinzip, dass seine Leute auch in ihren Vereinen erste Wahl zu sein haben, warf der Bundestrainer über Bord. »Das gilt jetzt nicht mehr.«
Matchpraxis bekommt vor allem der Londoner Arsenal-Verteidger Huth kaum. In Dortmund wehrt Christian Wörns ständig ab, während Teamkollege Christoph Metzelder Bekanntschaft mit der Bank schloss. Durchs WM-Sieb fällt aber der 33 Jahre alte BVB-Routinier, der seinen 66 Einsätzen wohl keinen weiteren mehr hinzufügen dürfte. Klinsmann und sein Stab servierten den wieder einmal für ein Länderspiel nicht berücksichtigten Borussen komplett ab, weil der sich in Aussagen des Ärgers den Bundestrainer kritisch zur Brust nahm.
Die Reservisten Huth und Metzelder besitzen hingegen beste WM-Perspektiven. Das trifft auch für die in München frustrierten Deisler und Schweinsteiger zu, die beispielsweise beim Champions League-Hinspiel des FC Bayern gegen den AC Mailand den ganzen Abend über nicht benötigt wurden. Wenigstens waren sie beim 5:2 gegen Frankfurt mal wieder dabei.
In Bremen musste Owomoyela vorübergehend seinen rechten Außenposten räumen, der Wolfsburger Stürmer Hanke steht auch nicht immer auf dem Platz und in Köln überlegte FC-Trainer Latour, ob er den anfänglich schon als Wunderknaben gefeierten Lukas Podolski nicht besser mal beim Ersatz postiert.
Es gibt derzeit nur einen sehr überschaubaren Kreis von Kickern, die sowohl in ihrem Klub als auch in der Landesauswahl absolute »Leader« sind. Ballack, Klose, Mertes-acker. Vielleicht noch Frings, fertig. Nicht einmal auf Oliver Kahn trifft das zu, weil Klinsmann im Kasten weiter rotieren lässt und eine eindeutige Entscheidung zur Nummer eins von ihm noch immer nicht zu haben ist. Auch Jens Lehmann hofft, erster deutscher WM-Gegentoreverhüter zu sein.
Insgesamt dürfen die 32 WM-Teilnehmer je 23 Spieler benennen. Mag das DFB-Aufgebot auch in großen Zügen stehen, so ist es der Kampf um die drei, vier vakanten Plätze, der die Sache noch ziemlich spannend machen kann. Worauf der Bundestrainer besonderen Wert legt: Man muss ihn in allen Bereichen davon überzeugen, das WM-Mitspielrecht auch zu verdienen. Nur was am Ball zu können, reicht ihm bei weitem nicht aus.
Aus diesem Grund will er auch Metzelder dabei haben. Den gebürtigen Münsteraner aus der zweiten Dortmund-Reihe stuft Klinsmann als Profi mit Persönlichkeit und Gespür für die Verantwortung ein. Der Bundestrainer kommt dazu sportlich zu einer anderen Einschätzung als sein Borussia-Kollege Bert van Marwijk. Klinsmann kann mit Manndeckern alter Schule nicht viel anfangen. Die Wut von Wörns über seine Ausbootung für die Florenz-Fahrt spielte ihm nur in die Karten. Der zornige Schwarz-Gelbe drohte mit Rücktritt. Das muss er nun nicht mehr. Es gibt außerdem ein paar »Wackler«, für die es eng wird. Hinkel, Hitzlsperger, Sinkewiecz, Kehl - immer noch ein bisschen drin, aber möglicherweise doch nicht dabei.
Vielleicht stimmt es auch, dass der eine nur die bessere »Connection« zu Klinsmann entwickelt als der andere. Wenn der Bundestrainer jemanden schätzt, wird das schnell deutlich. Das gilt auch umgekehrt. Er wollte Bernhard Peters als DFB-Sportdirektor, Matthias Sammer wollte er nicht. Als der Verband den Fußballer favorisierte und den Hockey-Experten düpierte, kommentierte Klinsmann dies kiebig. Es passte ihm nicht. Abstriche von der Autonomie seiner Aktionen macht er nur ungern. Und Kompromiss ist sicher nicht seine Lieblingstaktik.
Klinsmann schluckte die aufgedrückte Entscheidung aber. Inzwischen gab es sogar eine Aussprache mit Sammer, ansonsten muss das Thema jetzt auch warten. »Ab sofort gilt alle Konzentration dem Sportlichen«, sagt der Bundestrainer. Mit dem Spiel gegen Italien beginnt der Countdown für den WM-Start gegen Costa Rica und für alle Kandidaten. Eine Elf für die Weltmeisterschaft hätte Klinsmann schon beisammen, eine komplette Mannschaft noch nicht ganz.

Ein Beitrag von
Friedrich-Wilhelem Kröger

Artikel vom 01.03.2006