27.02.2006
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»In einer Minute sind wir weg«, sagte sie mit gerunzelter Stirn. Ich wollte noch eine witzige Bemerkung des Inhalts anbringen, dass, wenn ich das Haus nicht oft verließe, so wahrscheinlich deshalb, weil es von Leuten wie Frank überall nur so wimmelte. Als ich jedoch im Spiegel ihre Augen sah, hielt ich lieber den Mund. Bel zog eine ziemliche Show ab, aber sie war bei weitem nicht so hart, wie sie glauben machen wollte. Ich wusste, wie lange sie für die Mascara brauchte, und wenn sie jetzt anfing zu weinen, dann hätte ich die beiden die ganze Nacht am Hals. Das Vorsprechen war wohl eher schlecht gelaufen.
»Ich hab noch gar nicht gefragt, wie es heute gegangen ist«, sagte ich beiläufig. »Hast du die Rolle bekommen?«
»Nein«, murmelte sie, stellte den Drehspiegel schräg und hielt sich das Kleid vor den Körper. »Es war schrecklich. Eine Firma, die übers Internet Türen verkauft. In meinem ganzen Leben habe ich noch nie etwas derart Eseliges gehört. Die Idee war die, dass ich und dieser Typ, der mein Freund ist, in dieser Wohnung sind und einen Riesenkrach haben. Also, zwei Minuten lang brüllt er mich an, beleidigt mich und macht einen auf Riesenidiot, bis ich aus dem Zimmer stürme und die Tür hinter mir zuknalle. Und dann kommt der Slogan: Türen. Manchmal ist es besser, man geht. Das ist doch bescheuert, oder?«
»Immerhin, das war ja das erste Mal seit langem«, sagte ich. »Es kommt schon noch was Besseres.«
»Hmm.« Sie wurde rot. »Ich muss mich jetzt wirklich umziehen, Charles. Okay?«
»Ich meine, etwas, das du wirklich machen É Du willst ja wohl zu dem Kleid nicht diese Mokassins anziehen, oder?«
»Charles, bitte, hau jetzt endlich ab.«
Ich zog mich ohne weiteren Kommentar zurück. Unten in der Küche ging ich so lange nervös auf und ab, bis ich hörte, dass sie die Treppe herunterkam und zu Frank in den Salon ging.
»Du brauchst nicht aufzubleiben«, rief sie aus der Halle.
»Ha!«, rief ich zurück, aber da waren sie schon draußen.
M
S
»Du hast Ferien, amüsier dich«, riet ich ihr. »Entspann dich ein bisschen. Schau mich an.«
»Das sind keine Ferien«, sagte sie. »Kommt mir eher vor wie das Fegefeuer. Ich sitz hier mitten in der Pampa, bin abgeschnitten von allem und jedem und warte. Worauf, weiß ich auch nicht. Ich hab kein Geld, ich bin ein Nichts, eine totale NullÉ«
»Du bist erst einen Monat vom College weg, du machst eine Übergangsphase durch, das ist alles. Ich versteh nicht, worüber du dir Sorgen machst.«
»Ich mache mir Sorgen, dass ich so werde wie du«, sagte sie und vertiefte sich mit einem verzweifelten Seufzer wieder in die Zeitung, in die endlosen Stellenanzeigen für Computerprogrammierjobs. Was ein Jammer war, der Sommer beglückte uns in diesem Jahr mit herrlich sonnigen Tagen, und der Park präsentierte sich so bezaubernd wie selten. Mutter war nicht da, also konnte ich nach Gusto umherstreifen und den Grünton der Eichenblätter, die flauschigen Blüten der Rosskastanie, die hoch aufragenden Ritterstern und Akelei bewundern. Es war eine friedvolle Zeit, und im Gegensatz zu dem, was Bel gesagt hatte, fühlte ich mich ungewöhnlich ausgeglichen. Obwohl mir natürlich von Zeit zu Zeit der Gedanke kam, dass ein Gefährte für meine Streifzüge schon angenehm wäre - ein Wolfshund vielleicht oder ein Setter, der schwanzwedelnd neben mir durchs Gras tollte und sich zu meinen Füßen einrollte, während ich mich mit einem erbaulichen Buch unter einem Baum niederließ.
N
»Morgen«, sagte er. Die Schamlosigkeit dieser Lüge nahm mir den Wind aus den Segeln und die Standpauke, die ich schon seit Tagen im Kopf hatte, gleich mit. Stattdessen riss ich ihm die Briefe aus der Hand und knallte die Tür zu. Und er bummelte flötend davon, quer über den Rasen, den zu betreten eigentlich nur den Pfauen erlaubt ist.
I
Als Plus konnte ich verbuchen, dass mein Kater sich inzwischen verflüchtigt hatte. Ich ging also in den Keller, um eine Flasche fürs Abendessen auszusuchen. Ich war gern im Keller. Die kühle, dünne Luft war wie eine Decke, die sich angenehm feucht an den Körper schmiegte. Und im schwachen Licht glänzten karmesinrot, malven- und burgunderfarben die Flaschen, Regenbögen innerhalb von Regenbögen, eine der wenigen ungetrübten Freuden im Leben meines Vaters. Zugegeben, in jüngster Zeit hatten sich die Reihen etwas gelichtet. Es waren recht ausgelassene Monate gewesen - die alte Gang mal wieder komplett versammelt, fabelhafte, törichte Partys, ineinander übergehend wie der flatterhafte, atemlose Raum zwischen Nacht und Tag. Rückblickend würde ich sagen, dass diese Zeit all die Merkmale eines letzten Versuchs aufwies. Ich fragte mich, ob ich der Einzige gewesen war, dem das nicht aufgefallen war.
N
Artikel vom 27.02.2006