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Ganz sicher.«
»Wie ist es da, in Bosnien? Weißt du irgendwas über das Land?«
»Herrgott, Charles, drei volle Jahre lang war Bosnien jeden Tag in den NachrichtenÉ«
»Sag schon, ist das da, wo die jungen Burschen diese komischen Hüte tragen?«
»Ich glaubÕs einfach nicht! Hast du irgendeine Ahnung davon, was in der Welt so vorgeht?«
»Das ist ja wohl kaum mein Bier.«
»Ah ja, Völkermord ist also nicht dein Bier?«, sagte sie sarkastisch und fuhr sich mit einem winzigen Stift über die Augenbrauen. »Bleibt die Frage: wessen Bier dann?«
»Ich kann mich nicht erinnern, dass du viel dagegen unternommen hättest«, erwiderte ich. »Bist du etwa mit der Spendenbüchse rumgelaufen, oder hast du harsche Briefe an die UN geschrieben?«
»Spendenbüchse«, sagte sie und nahm eine Papiernagelfeile. »Der erhabene Menschenfreund. Lachhaft.«
»Ich habe den Verdacht, dass du nur deshalb etwas über solche Dinge weißt, damit du dich mir gegenüber aufspielen kannst«, entgegnete ich. »Tatsächlich habe ich sogar den Verdacht, dass nur deshalb überhaupt irgendjemand etwas über solche Dinge weiß, damit er sich als besserer Mensch aufspielen kann. Im Pub regt er sich dann mächtig auf, und alle anderen kriegen Schuldgefühle, weil sie nicht lange genug in den Fernseher schauen.«
»Dann geh halt zu Mrs P und unterhalte dich mit ihr«, sagte Bel übellaunig. »Ich bin sicher, sie wird hocherfreut sein, deinen fundierten Anschauungen zu lauschen. Ihr könnt eure Rezepte für Hausmannskost austauschen, du deine weißen Bohnen à la Charles undÉ«
»Wohin führt Frank dich heute Abend eigentlich aus?«, fragte ich, da die Handschuhe anscheinend zu Hause blieben. »Zur Dachshatz? Zum Schlamm-Catchen? In irgendeinen schmuddeligen Park, wo man Bier aus Dosen trinkt?«
»Das Abkommen!«, kreischte Bel empört. »Das Abkommen!«
»Habeas Corpus«, konterte ich. »Bevor du nicht deinen Teil erfüllst, ist das Abkommen nicht besiegelt.«
»Ich habe sie angerufen«, protestierte sie. »Sie hat mir ihre Nummer im Büro gegeben und gesagt, dass du jederzeit anrufen kannst.«
»Das nützt mir nichts!«, sagte ich und schlug mit den Händen auf den Tisch. »Du weißt, dass ich Telefonieren hasse.« Tatsächlich verabscheute ich allen modernen Technikschnickschnack - Schnickschnack, schon das Wort hatte einen minderwertigen Klang. »Kannst du sie nicht anrufen und bitten herzukommen?«
»Was soll das? Bis du etwa invalide? Ich bin nicht dein Lakai.«
Mrs P könnte anrufen - nein, das kam nicht in Frage. Das Abkommen war nicht erfüllt worden, ich würde hart bleiben. »Das Abkommen ist nicht erfüllt worden«, sagte ich. »Und solange das so ist, befinden wir uns weiter im Krieg.«
»Im Krieg?«
»Ich muss darauf bestehen, euch heute Abend zu begleiten.«
»Charles«, sagte sie mit warnendem Unterton und schaute mich wütend unter ihren mattschwarzen Augenlidern hervor an.
»Ich bestehe darauf.«
»Jeden Tag erreichst du einen neuen Tiefpunkt. Ist dir das eigentlich klar?«
»SeiÕs drum«, sagte ich friedfertig. »Also, wohin gehen wir?

Los, Ask Me Hole, lauf, du lahmer Idiot!« Frank fluchte aus vollem Hals; zwischendrin schaufelte er sich aus einer Tüte pappige Chips in den Mund. »Beweg dich, du fauler Scheißhaufen!«
Ich kicherte still in mich hinein. Mein Hund, Jasper, hatte sich als ganz vortreffliches Vieh entpuppt, Ask Me Hole und der Pulk hechelten weit hinter ihm her. Bels Wahl, ein Hund mit dem hirnlosen Namen Piece of Lightning, hatte anscheinend schon die Segel gestrichen.

E
s war zwar nicht Ascot, aber die Besitzer hatten sich wacker bemüht, der einer Hunderennbahn wesenseigenen Verwahrlosung Paroli zu bieten. Von der hell erleuchteten Bar konnte man durch ein Panoramafenster das Geschehen unten auf der Bahn verfolgen. Unter die glücklosen Verdammten, die hier ihre Sozialhilfe verzockten, hatten sich auch einige Gruppen normaler Menschen gemischt. Mit dem Argument, die Bar sei was für Schwuchteln, hatte Frank uns nach draußen gelotst, wo wir jetzt zitternd auf der Tribüne saßen - zusammen mit rotäugigen, verzweifelten Typen, die so spindeldürr waren wie die Hunde, denen sie ihr ganzes Vermögen anvertraut hatten. Keiner von ihnen war jedoch so Furcht einflößend wie Frank selbst, was einen seltsam beruhigenden Einfluss auf mich hatte. Und alle schienen ihn zu kennen. Während der Rennen tauchten Scharen von Mickers, Antos und Farrellers auf, um ihm ihre Aufwartung zu machen. »Na, wie läuftÕs, Francy, noch alle Eier beisammen?«, sagten sie, oder: »Hallo, Frankie, auch mal wieder Õn Arsch hoch gekriegt?«

I
m Freien sah Frank noch größer aus; Bel wirkte klein und abgemagert neben ihm. Ihre Augen glänzten schwach, wie kalte blaue Monde. Ich weiß nicht, ob sie immer noch schmollte, weil ich darauf bestanden hatte mitzukommen. Frank schien es nichts auszumachen. Oder ob sie sich schämte, weil ich ihn in seinem natürlichen Milieu sah, oder ob es etwas ganz anderes war. Jedenfalls hatte sie den ganzen Abend noch keine zwei Worte gesprochen. Ihr Gesicht war in einen dicken Schal vergraben, die Augen waren starr auf die Bahn gerichtet. Nachdem er sie zweimal gefragt hatte, ob alles in Ordnung sei oder ob sie ein paar Chips wolle, hatte Frank sie ihrem Schweigen überlassen. Inzwischen hatten Frank und ich festgestellt, dass ich eine bis dato unentdeckte Nase für Sieger hatte, was mich auf seiner Wertschätzungsskala ein paar Stufen nach oben klettern ließ.
»Was meinst du, wer machtÕs im nächsten?«, fragte er respektvoll. »Up the Duff oder GordonÕs Couscous?«
»Keiner von beiden«, sagte ich. »Schau dir doch bloß an, wie die in ihren Zwingern hängen. Die haben doch gar keinen Mumm mehr. Möglich, dass sie schnell sind, aber Siegertypen sind das keine. Aber schau dir mal Meet the Wife an. Diese ruhigen Bewegungen, die stolze, überlegene Körperhaltung. Ein königlicher Hund. Auf den würde ich setzen. Wenn du mich fragst - der hat schon gewonnen.«
»Genau. Na, Bel, wie wärÕs mit Õner kleinen Wette?«
»Ich hab kein Geld«, lautete die eisige Antwort.
»Ich pump dir was. Komm schon.«
»Nee, ist schon gut«, sagte sie lahm. Sie schaute nicht mal auf.
»Jetzt komm schon. Ich setz für dich. Meet the Wife, Charlies Tipp, Õn FünferÉ«
»Nein!«, sagte sie laut. Plötzlich war sie wieder munter. »Ich will keinen Tipp von Charles.« Sie schlug das Rennprogramm auf und studierte es. Im kalten Schein des Flutlichts sahen ihre Finger weiß aus. »Ich setz auf den hier. Nummer vier.«
Frank schaute ihr über die Schulter. »An Evening of Long Goodbyes«, las er laut. »Weiß nicht. Was meinst du, Charlie?«
»Ganz nette Quote«, sagte ich unparteiisch. »Wenn er was kann. Nummer vier, wo ist der eigentlich?«
Wir suchten die Bahn ab. Die Trainer hatten die Hunde herausgeholt und führten sie auf der Rasenfläche im Innenraum mal schneller, mal langsamer auf und ab. »Ich seh keine Nummer vierÉ oh.«

N
ummer vier trug eine wenig schmeichelhafte hellgrüne Nummerndecke. Er saß allein auf dem abgefressenen Gras und leckte mutlos seine Weichteile. »Hmm, ich weiß nicht, BelÉ«
»Auf den setze ich«, sagte Bel mit stahlharter Stimme.
»Warum hörst du nicht auf Charlie, Bel, er gewinnt immer.«
»Du bist mit mir hier, nicht mit Charles. Außerdem hab ich gedacht, du pumpst mir das Geld, was kümmertÕs dich dann, auf wen ich setze?« Sie reckte ihr blasses Kinn den ersten Regenspritzern entgegen, die der Wind vom Dach und dann zurück auf die Tribüne wehte.
»Der Name hört sich einfach bescheuert anÉ«
»Die Namen sind alle bescheuert, Charles.«
Ein Wortschwall aus dem Lautsprecher kündigte an, dass das Rennen in Kürze gestartet würde. Die Hunde wurden in die Startboxen gesperrt.
»Stimmt schon, aber Namen sind wichtig, man muss sie sich genau anschauen.« Ich sagte das mit einer kuriosen Bestimmtheit. Denn hier auf der Hunderennbahn machte ich die Erfahrung, dass meine Sinne erstmals auf die Schwingungen von scheinbar oberflächlichen Dingen reagierten, auf das verworrene, gespenstische Räderwerk des Zufalls.
»Also dann, es geht gleich los«, sagte Frank. »Ich setz trotzdem einen Fünfer auf den Vierer, okay?«
Bel achtete nicht auf Franks Worte. »Außerdem ist der Name nicht bescheuert«, sagte sie. »Er ist romantisch.«
»Es ist ein Hundename, deshalb ist er bescheuert. Ich meine, es wär anders bei einem Lied oder einem Buch oder so. Aber wer, um Himmels willen, nennt seinen Hund An Evening of Long Goodbyes?«
»Schwuchteln«, sagte Frank. »Ein paar von diesen schnieken Affen machen groß auf Trainer, als Hobby, wahrscheinlich, weil sie sich kein Pferd leisten können. Die Hunde von denen sind alle Scheiße.«
»Exakt. Alles zu seiner Zeit, Bel. Nicht alles kann Theater seinÉ«
»Warum nicht?«, sagte sie und wurde rot. »Außerdem gehtÕs nicht nur ums Gewinnen.«
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 09.03.2006