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Grzegorz Lato

Die Rückkehr des Torschützenkönigs

Schütter das Haar, schnell der Schritt. So stürmte Grzegorz Lato in die Herzen der polnischen Fans und auf die internationale Fußballbühne. 1974 war er der Beste, schoss in sieben WM-Spielen sieben Tore.


Die stärkste polnische Mannschaft aller Zeiten griff nach dem Titel. Doch Sepp Maier, Gerd Müller und eine Sintflut machten ihr einen Strich durch die Rechnung. Frankfurter Waldstadion, 3. Juli 1974: Bei den von Kazimierz Gorski trainierten Polen stürmen Grzegorz Lato und Andrzej Szarmach, dribbelt Robert Gadocha und lenkt Kazimierz Deyna. Doch der Ball will nicht so, wie sie es wollen. Regen hatte das Spielfeld unter Wasser gesetzt. Das Leder rollt zwei Meter weit, bleibt dann liegen. An Fußball, wie ihn Polen zuvor erfolgreich zelebrierte, ist nicht zu denken. Dann trifft Müller und Maier hält. Das Spiel ist aus, der Rest bekannt: Deutschland wird Weltmeister, Polen Dritter.
Nur Dritter? Nein, so sieht das Grzegorz Lato keinesfalls: »Diese Weltmeisterschaft war mein Durchbruch und mein größter Erfolg. Ich denke gerne und oft zurück.« Doch weil damals, in der goldenen Ära des polnischen Fußballs, noch mehr möglich war, macht auf den Sportplätzen seiner Heimat immer noch eine Frage die Runde: »Wie wäre das Spiel gegen Deutschland ausgegangen, wenn es nicht geregnet hätte?«
32 Jahre nach der Wasserschlacht von Frankfurt treffen die Kontrahenten 2006 in der Vorrunde aufeinander. Grzegorz Lato, Rekordnationalspieler mit 100 Spielen (45 Tore), schmunzelt. »So viel Regen wie damals wird es wohl nicht wieder geben.« Die Partie in Dortmund schaut er sich aus offizieller Perspektive an. Der 55-Jährige ist Präsidiumsmitglied und WM-Botschafter des polnischen Fußballverbands PZPN.
Lato, 1,75 Meter groß und von kräftiger Statur, war schnell, blitzschnell. 100 Meter lief er in 10,8 Sekunden. Seine Karriere als Spieler beendete er 1985 in Mexiko, seine Trainerlaufbahn 1997 in Lodz. 2001 zog er in den polnischen Senat ein. Und nun die WM 2006. Er weiß, wie es laufen muss: In 20 WM-Spielen schoss er zehn Tore.
Dem Duell mit dem Gastgeber misst Grzegorz Lato große Bedeutung zu: »Erst danach wissen wir, wo wir wirklich stehen.« Einen Tipp wagt der 55-Jährige, der seine Worte mit Bedacht wählt, nicht, wohl aber eine Vorhersage: »Im Achtelfinale treffen wir und Deutschland auf England oder Schweden.« Bloß nicht England. »Bei diesem Gedanken fühle ich mich ganz unwohl.« Kein Wunder, hat Polen doch in der Qualifikation zweimal 1:2 gegen England verloren. Es waren die einzigen Punktverluste. Doch Klagen hilft nicht. »Nach der Vorrunde ist eine WM wie eine Lotterie.«
Die eigene Mannschaft beschreibt Polens WM-Botschafter als »kompakte Einheit«, die an einem guten Tag jeden schlagen könne. »Stars wie in der großen Zeit unter Gorski haben wir aber nicht.« Und die, die heute zu den Besten zählen, machen Lato Sorgen. Die finanzschwachen polnischen Vereine spielen international keine Rolle. Daher verdienen viele Nationalspieler im Ausland ihr Geld. »Und hier sitzen sie, wie Jacek Krzynowek in Leverkusen oder Torwart Jerzy Dudek in Liverpool, zu oft auf der Bank.«
Für den ehemaligen Weltklassespieler ist klar: »Wer zum WM-Kader gehören will, muss im Verein spielen.« Wohl auch aus diesem Grund wechselte Stürmer Artur Wichniarek in der Winterpause von Hertha BSC zurück zu Arminia Bielefeld. Lato weiß Bescheid: »In Berlin kam Artur nicht zurecht, zuvor war er in Bielefeld herausragend.« Doch auch bei den »Blauen« gehört der ehemalige König von der »Alm« nicht zur ersten Elf. »Noch ist der Zug nicht abgefahren. Der endgültige WM-Kader wird erst im Mai berufen.«
Über Nationalcoach Pawel Janas, mit dem er bei der WM 1982 in Spanien spielte, sagt Grzegorz Lato: »Er ist einer der besten Trainer Polens - zielstrebig und konsequent.« Ebenfalls 1982 dabei war Wlodzimierz Smolarek, der Vater von Dortmunds Ebi Smolarek. »Ebi ist in den Fußstapfen seines Vaters unterwegs, und der war hervorragend.« Wohl zu gerne würden die Jungen auch an die WM-Erfolge der Alten anknüpfen.
»Die Stadien sind herrlich, die deutschen Fans voller Begeisterung und mit Respekt für die Gegner. Das ist Doping für jeden Fußballer.« Lato freut sich auf seine zweite WM in Deutschland. Kleiner Wehmutstropfen: Nur 5200 der 65 000 Karten im Westfalen-Stadion gingen an den polnischen Verband. »Mehr als 50 000, wenn nicht sogar 100 000 Polen hätten dieses Spiel sehen wollen.«
Bis Juni gibt es für Grzegorz Lato aber noch etwas anderes als die WM: Sein kleiner Heimatverein Stal Mielec, mit dem er zweimal Meister wurde, dümpelt in der vierten Liga herum. Der WM-Torschützenkönig von 1974 ist optimistisch: »Wir haben gute Chancen aufzusteigen.«

Ein Beitrag von
Lars Rohrandt

Artikel vom 01.03.2006