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Guo Qiang will General
werden -ĂŠoder Jackie Chan
Kungfu-Schulen nahe des Shaolin-Klosters sind eine Jungen-Domäne
Der heilige Berg Song Shan bildet die Kulisse für eine der beliebtesten Sehenswürdigkeiten Chinas. Nahe der am Gelben Fluss gelegenen Stadt Luoyang stößt man in der Kleinstadt Dengfeng (180 000 Einwohner) auf ein Kloster, das eher wie eine Mischung aus ostasiatischem Freizeitpark, Sportschule und Ort der Anbetung und Meditation wirkt. Die Gegensätze scheinen anziehend zu sein: Vergnügungssüchtige Chinesen treffen hier auf europäische Touristen voller Vorurteile, denn mit dem »Shaolin-Kloster« verbinden die meisten Reisenden martialische Kungfu-Filme - Bruce Lee und Jackie Chan lassen grüßen. Auch in Ostwestfalen sind Bühnenshows rund um das Shaolin-Kungfu schon des öfteren gezeigt worden, sie stammen allerdings nicht aus dem Kloster, sondern aus den zahllosen Schulen, die in Dengfeng Jungen zu Kämpfern ausbilden. Guo Qiang ist elf Jahre alt und stammt aus der Nähe von Shanghai. Seit zwei Jahren geht er auf das Song Shan Shaolin Temple Wushu Institute. Er wirkt ernst, beinahe verschlossen. Guo Qiang wird von seinem Lehrer, Herrn Chen, als äußerst diszipliniert beschrieben. Heimweh verkneift er sich ebenso wie das unbeschwerte Spielen mit Gleichaltrigen. Der drahtige Junge lebt ganz für seinen Lieblingssport Kungfu, dem er dort ausgiebig frönen kann. Das Internat, für das seine Eltern jährlich 5000 Yuan, etwa 500 Euro, bezahlen, lehrt auch Geistes- und Naturwissenschaften. Außerdem müssen die Schüler regelmäßig meditieren. Vormittags und abends, wenn die Sommerhitze nicht so stark ist, wird auf dem Schulhof oder auf dem Gelände des Shaolin-Tempels Kungfu trainiert. Guo Qiang weiß, was er werden will: General. Und er rechnet sich durch diese Ausbildung Chancen auf eine Militärkarriere aus. Im besten Fall mündet die Erziehung in die Einladung, Kungfu in Europa auf der Bühne zu präsentieren. Was allerdings im März im Bielefelder Ringlokschuppen als Shaolin-Kungfu-Show über die Bühne geht, hat mit klassischer chinesischer Kampfkunst nichts zu tun, denn dort werden Mädchen aufeinander losgelassen. Undenkbar in der Welt der chinesischen Kungfu-Schulen, die eine reine Männerdomäne sind.
Guo Qiang wirkt wieder ernst, als er sagt, für eine Filmkarriere sei er nicht gut genug. Aber Herr Chen sagt, vielleicht könne sein Schüler demnächst in der Kungfu-Show des Shaolin-Klosters auftreten. Denn das Kloster am Song Shan, wo alles begann, ist heute »kampfmönchfrei«. Weniger als 100 Mönche leben dort, die ausschließlich meditieren.
Dies war nicht immer so. Während des 1500-jährigen Bestehens des Klosters griffen die Mönche nicht selten in Schlachten und Kriege im Laufe der bewegten Geschichte Chinas ein. Die außerordentlichen Fähigkeiten wurden den Mönchen von Generation zu Generation weitergegeben.
Ursprünglich stammten sie vom indischen Mönch Bodhidharma, dem 28. Nachfolger Buddhas, der 523 nach Christus über den Himalaya nach China kam, und sich im Shaolin-Kloster niederließ. Er lehrte, vermutlich in Anlehnung an Yoga-Techniken, eine Reihe von Atem- und Gymnastikübungen, die zur inneren Kraft, dem Chi führen sollten, einer Kraft, die die Mönche beim Volk als unbesiegbar gelten ließ. Im Wesentlichen ermöglicht diese Kraft, erreichbar nur durch intensives zwölf Jahre langes Training, den Aufbau einer Art Schutzschild, der je nach Bedarf an verschiedenen Körperstellen aufgebaut werden kann.
Von Bodhidharma stammen auch die Kampfübungen mit der bloßen Hand, die als Basis des Shaolin Kungfu gelten. Diese Techniken hatten für die Mönche einen hohen praktischen Nutzen, mussten sie schließlich in einsamen Gegenden leben, und sich auch auf Reisen vor wilden Tieren und Überfällen schützen.
1911 brach nach einem Aufstand die Qing-Dynastie zusammen. Zwischen 1920 und 1930 wurde eine enorme Verbreitung der Kampfkünste unter der chinesischen Bevölkerung beobachtet, die 1928 nach dem Großbrand im Kloster zur Gründung des ersten »Institutes für das Studium der traditionellen Kampfkünste« gipfelte und auch die ersten sportlichen Wettkämpfe mit sich brachte. Hierdurch wurde vermieden, dass wie in der Vergangenheit, die Auseinandersetzungen verschiedenster Schulen oft in blutige Schlachten ausarteten.
Das wieder aufgebaute Kloster liegt heute inmitten eines großen Parks, zwei Kilometer vom Eingang mit zahlreichen Souvenirgeschäften entfernt. Der Münchener Veranstalter Studiosus bietet Touren zum Kloster an, wobei die Anreise per Bahn aus Xi'an erfolgt. Eine besondere Sehenswürdigkeit ist der Pagodenwald, etwa 500 Meter hinter dem Kloster. Dieser historische Mönchs-Friedhof inmitten eines Nadelwaldes wirkt besonders im Licht der Abendsonne, wenn auch die umliegenden Tiger-Berge und Drachenhügel aus dem milchigen Dunst des Tages besser hervortreten.
Thomas Albertsen

Artikel vom 04.03.2006