23.02.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Tastenlöwe zeigt die Krallen

Mark Ehrenfried brillierte beim Konzert in der Philadelphia-Kirche

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Oh Schreck, nun war der Zettel weg. Macht nichts. »Das erste Stück weiß ich auch so«, sagt Mark Ehrenfried und kündigt den dritten Satz aus Johann Sebastian Bachs Italienischem Konzert an.

Noch ehe er sich an den Schimmel setzt und seine flinken Finger über die Tastatur schickt, kommt der entscheidende Tipp aus den Reihen des Publikum: »In deiner linken Hosentasche, Mark.« Amüsement auf allen Seiten. Das Eis zwischen dem jungen Lockenkopf auf dem Podium und dem Publikum in der voll besetzten Philadelphia-Kirche ist schon mal gebrochen.
Mag sein, das der Zetteltrick einfach nur ein überlegtes Spielchen zwischen Mutter und Sohnemann ist, um die Stimmung aufzulockern. Aber seinen Zettel, auf dem die »Maman« die Abfolge sowie die Namen und Werke der Komponisten vermerkt hat, braucht Mark tatsächlich. Offenbar ist der 14-Jährige, der imstande ist, sich tausende von Tonfolgen zu merken und in einer Minute mehr Tasten zu drücken als das menschliche Ohr aufnehmen kann, ohne diese Hilfestellung aufgeschmissen. Begabung kann man sich halt nicht aussuchen und seine besteht eben darin, akrobatischen Tastentanz zu vollführen.
Mit drei Jahren, so verrät er später in einer Frage-Antwort-Pause mit dem Publikum, sah er zum ersten Mal ein Klavier und erklärte seinem Vater: »So einen Tastenkasten will ich auch haben.« Seine Hartnäckigkeit zahlte sich aus. Mit vier Jahren erhielt er ersten Klavierunterricht und heute übt er täglich vier Stunden, um seine enormen technischen Fähigkeiten weiter voranzutreiben. Und darüber kann man wirklich nur staunen. Konsequent arbeitet sich Mark im Konzert vom Barock über die Klassik hin zur Romantik durch. Die Opus-Zahl des Mozart-Rondos, das er als nächste spielen werde, habe er vergessen, erzählt er ganz unbefangen. Auch nicht tragisch. Ob ihm das KöchelVerzeichnis wohl was sagt? Wie auch immer, so ein Rondo taugt Mark allenfalls zum Warmlaufen. Mondschein-Sonate, 3. Satz? Auch nicht viel mehr als eine Tonleiterübung. Dann, beim dritten Satz der »Appassionata« zeigt Mark, welch ein Tastenlöwe wirklich in ihm steckt. Wo nimmt der zierliche Junge nur die Kraft für diese wuchtigen Akkord-Kaskaden her, die sich wie eine Springflut aufstellen und die Gehörgänge hochjagen? Was heißt schon »Allegro ma non troppo«? Vornehmlich schnell und wild scheint's der junge Virtuose zu mögen, darin macht ihm keiner etwa vor, am wenigsten wohl sein Vorbild Alfred Brendel.
Von Beethoven hat er noch den zweiten und dritten Satz der »Pathétique« im Angebot wie er sich auch sonst ausschließlich auf die Sahneschnitten der Klavierliteratur stürzt: Liszts »Liebestraum«, Chopins »Regentropfen«-Preludium, Griegs »Zug der Zwerge«, Rimski-Korsakows »Hummelflug« sowie eine rasant-aberwitzige Eigenbearbeitung über Mozarts »Alla turka«. Danach ist Mark noch lange nicht erledigt, gibt Zugaben, blickt fröhlich in die Kameras der Fans und gibt geduldig Autogramme. Wirklich nett, so ein Star zum Anfassen.

Artikel vom 23.02.2006