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Überraschung am ersten Tag: »Alles schwarz!«

Gabriele Pottmann arbeitet seit 27 Jahren in der Packerei - am liebsten während der Nachtschicht

Von Lars Rohrandt
Bielefeld (WB). Zeitung runter vom Fließband, Prospekt rein, Zeitung rauf aufs Fließband. Hundertfach.  Die junge Frau gerät ins Schwitzen, wischt sich mit der Hand durchs Gesicht. Die Arbeit ist anstrengend. Endlich Pause. Beim Blick in den Spiegel der Schock: »Alles schwarz!« Druckerschwärze.

»Diesen Fehler habe ich nur einmal gemacht«, erzählt Gabriele Pottmann. Das war im Januar 1979, als sie mit 21 Jahren anfing, in der Packerei zu arbeiten.
Die Erinnerungen an den ersten Arbeitstag sind noch frisch. Laute Maschinen, viele Menschen, lockere Stimmung. »Eine Freundin war schon beim WESTFALEN-BLATT, nahm mich mit.«
Gabi Pottmann arbeitete zunächst zweimal wöchentlich in der Nachtschicht an der Sudbrackstraße in Bielefeld. »Nach dem Mutterschutz war das für mich ein guter Wiedereinstieg«, erinnert sich die 48-Jährige, die in einer Textilhandlung Großhandelskaufmann gelernt hatte und dann in der Buchhaltung eines Fahrradgroßhandels arbeitete. Aus der Teilzeit- wurde später eine Vollzeittätigkeit. »Als meine zwei Jungs in die Schule kamen, ging das. Meine Eltern haben mir damals viel geholfen.«
Einiges hat sich seit 1979 verändert, anderes ist gleich geblieben. An Fließbändern arbeiten die Frauen heute nicht mehr. Die sind verschwunden, der moderne Maschinenpark von der Firma »Müller Martini« ist gerade einmal fünf Jahre alt. Die Beilagen - das sind Werbe-Prospekte oder Vordrucke für die Tageszeitung wie »Schönes Wochenende« -Ê müssen nicht mehr einzeln in die Zeitung gelegt werden. Das geschieht heute automatisch. Die Arbeiterinnen stehen am Anleger -Ê der Techniker sagt »Newsliner« -Êund »füttern« die Maschinen mit den Beilagen, die eingezogen werden.
32 Frauen sind in der Abteilung Weiterverarbeitung tätig. Als die Arbeit noch manueller war, waren es zwei- bis dreimal so viele. Flexibel müssen sie immer noch sein: Arbeit in drei Schichten und nach Bedarf. »Wir stehen lange, müssen zentnerweise Papier schleppen«, sagt Gabi Pottmann. »Das ist und bleibt anstrengend.« In der Packerei anzupacken, da sagt einem der Körper nach Feierabend, was man geleistet hat.
Ob morgens um 7 oder nachts um 3 Uhr - die Stimmung unter den Frauen ist meistens gut. »Wir verstehen uns. Einige arbeiten seit Jahrzehnten zusammen.« Für Gabi Pottmann ist klar: »Es geht nur miteinander, nicht gegeneinander.« Da sind die 23 Männer der Abteilung, vom Linienführer bis zum Chef, mit eingeschlossen. »Die Kollegialität passt.«
Die Weiterverarbeitung ist das Bindeglied zwischen der Rotation, in der die Zeitung gedruckt wird, und dem Vertrieb, dessen Mitarbeiter die Zeitungen auf dem Hof des Verlagsgeländes in die Fahrzeuge laden. »Eine Förderkette transportiert die Zeitungen oder Vordrucke von der Rotation zu uns«, sagt Abteilungsleiter Uwe Trant. Hier stehen zunächst die Flexirollen, auf der die Zeitungen aufgewickelt werden. Sie bilden eine Art Puffer. »Mit diesen Maschinen sind wir nicht mehr an die Arbeitsgeschwindigkeit der Rotation gekoppelt«, erklärt der Chef.
Besonders viel Arbeit fällt zur Weihnachtszeit an, wenn die Beilagen beispielsweise in die Paderborner Ausgabe gelegt werden. »2005 waren es 15 Beilagen«, sagt Uwe Trant. »Da hatten die Boten schwer zu tragen.« Flexibilität ist auch hier gefragt: Manche Beilagen stecken in der WESTFALEN-BLATT-Gesamtausgabe, andere erreichen bestimmte Ortsteile.
Wenn Gabriele Pottmann in der Nachtschicht arbeitet, fährt sie gegen 3 Uhr morgens nach Hause. »Das ist meine Lieblingsschicht. So habe ich noch viel vom Tag.« Die 48-Jährige hat es nicht weit, sie ist ein Kind des Bielefelder Westens, lebt in Gellershagen. Im Sommer fährt sie mit dem Rad durch den Nordpark. »Eine schöne Strecke.« Um abzuschalten und neue Kraft zu tanken, hat Gabi Pottmann ein sicheres Rezept: »Mit meinem Partner gehe ich einmal pro Woche in die Sauna.«

Artikel vom 15.03.2006