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Eigene Sprache, eigene Kultur

Fußballer stellen die größte Sparte im Gehörlosen-Sportverein Bielefeld

Von Jan Lüdeke
Bielefeld (WB). Schwerhörige und besonders gehörlose Menschen sind in unserer Gesellschaft fast komplett auf sich allein gestellt. Die Kommunikation mit »normal Hörenden« gestaltet sich schwierig - und somit auch die Öffentlichkeitsarbeit des Gehörlosen-Sportvereins (GSV) Bielefeld.

Die gesellschaftlichen Probleme aufgrund von Kommunikationsbehinderung sind weit gefächert. Ehen zwischen hörenden und beeinträchtigen Menschen gibt es kaum. »Da müsste der schwerhörige Partner schon relativ gut hören und sprechen können«, weiß Sylke Heinrich, Pressesprecherin des GSV. Erschreckend sei oft das zögerliche Verhalten von Eltern, deren Kinder eine Schädigung des Gehörs aufweisen.
Viele Eltern seien mit der Kommunikation überfordert. Dabei sei es wichtig, die Gebärdensprache schon im Baby-Alter zu fördern, erklärt Sylke Heinrich: »Da gehen oft viele Jahre verloren. Der Sprachschatz muss unbedingt früh gefördert werden.« Um diesen Problemen entgegenzuarbeiten, besteht im GSV eine Jugendabteilung. Die engagiert sich auch abseits des Sports, organisiert Feiern für die Heranwachsenden, bietet Kinoabende mit Gebärden-»Untertiteln« an. Im Vordergrund steht natürlich die sportliche Betätigung.
Die Gehörlosen sind die einzige Behindertengruppe mit eigener Sprache und eigener Kultur. Die Geschlossenheit dieser Gemeinschaft überwindet Sprachbarrieren. Sportbetätigung in der Schicksalsgemeinschaft löst die Gehörlosen aus der Isolation, gibt ihnen Lebensfreude und stärkt das Selbstbewusstsein. Der Sport bietet eine umfassende Lebenshilfe in jeder Beziehung.
Größte GSV-Abteilung ist - na klar - der Fußball. Regelmäßig treffen sich auch die Kegler und Badminton-Liebhaber. Handball, in früheren Zeiten eine der beliebtesten Sportarten, wird nur noch zu besonderen Wettbewerben gespielt. Das Sportangebot ist insgesamt groß. Das Problem liegt darin, dass einige Abteilungen nach kurzer Zeit wieder geschlossen werden müssen. So geschehen mit Basketball und Motorsport.
Erfolgreiche Sportler hat der GSV seit jeher hervorgebracht. Die Erfolge reichen von nationalen Pokalsiegen über Meistertitel bis hin zu internationalen Ehren. 1993 holte die Handball-Nationalmannschaft in Sofia den WM-Titel. Damals im Kader: die Bielefelder Ulrich Vahle, Uwe Gehring, Aandreas Pielsticker und Manfred Barlach. Gehring war auch dabei, als die deutschen Handballer 1987 in Kopenhagen und 1991 in Lübeck die Europameisterschaft gewannen. Den jüngsten Erfolg erreichte die Damen-Hallenfußballnationalmannschaft mit der Bielefelderin Fatma Alkan durch das Erringen des EM-Titels 2002 in Sofia.
Nachdem die Altherrenmannschaft 2005 Deutscher Meister im Hallenfußball wurde, durfte Bielefeld in diesem Jahr erstmals den Wettbewerb (das WESTFALEN-BLATT berichtete am 30. Januar) ausrichten. Solch ein großes nationales Turnier zu organisieren, zeigte dem GSV gewisse Grenzen auf. »Wir haben erkannt, dass wir die Hilfe von Menschen benötigen, die hören und sprechen«, gibt Hans-Peter Heinrich, Vorsitzender des GSV, zu verstehen.
Hilfe benötigt der Verein auch in anderen Bereichen. Das Hörgeschädigtenzentrum (Kurze Str. 36 c) ist noch bis 2010 vom Landschaftsverband gemietet. Der Mietvertrag soll von Seiten des Verbandes nicht verlängert werden, und so sucht der GSV nach Geldgebern, um das Klubhaus zu kaufen. »Wir brauchen ein wenig Glück«, gibt Heinrich zu.
Es gibt weitere Bereiche, in denen Hörende als Erleichterung eingesetzt werden könnten. Ein Zivildienstleistender etwa könnte »vor allem bei telefonischen Abwicklungen helfen«, sagt Sylke Heinrich.
Gesucht wird zudem nach einem Trainer, der sein Amt möglichst ehrenamtlich ausüben sollte. »Das wäre schön«, meint Sylke Heinrich. »Wir wissen zwar, dass es bei einem neuen Trainer zu Reibungen mit und in der Mannschaft kommen kann.« Jedoch wäre ein Übungsleiter, der die Gebärdensprache nicht beherrscht, dabei kein Problem, »aber er hätte schon ein kleines Handicap.«
Handicaps über Handicaps für Schwerhörige und Gehörlose. Doch es gibt auch Vorteile. Etwa die Kommunikation mit Ausländern. »Ein Hörender braucht wahrscheinlich ein Jahr, in dem er mit einem dicken Lexikon rumläuft, um etwa chinesisch einigermaßen zu lernen«, scherzt Sylke Heinrich. Die Gebärdensprache unterscheidet sich zwar von Land zu Land, gar von Stadt zu Stadt. Es gibt sogar Dialekte. »Doch da«, sagt Heinrich, »da haben wir es leichter. Bei uns dauert es höchstens eine Woche, bis wir uns verständigen können.« Kommunikation kann so leicht sein.
www.gsv-bielefeld.de

Artikel vom 21.04.2006