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Gelüste - schauerlich und süß

»Philharmoniker solistisch« auf den Spuren Schönbergs

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Kaum ein Konzert der Reihe »Philharmoniker solistisch« dürfte jemals so ein großes und wohl auch fachkundiges Publikum in seinen Bann bezogen haben wie dieses. Aber Arnold Schönberg scheint in Bielefeld eine enorme Anhängerschar zu haben.

Mit dem Streichsextett »Verklärte Nacht« von 1899 und den 1912 komponierten Melodramen »Pierrot lunaire« gelangten am Montagabend im Kleinen Saal der Oetkerhalle zwei Schlüsselwerke zur Aufführung, die den Expressionismus an seinen zeitlichen Eckpunkten repräsentieren: gerade noch spätromantisch das Sextett, schon die Fühler zur Zwölftonmusik ausstreckend der »Pierrot«. Beiden gelingt es auf spezifische Weise, die im bürgerlichen Moralverständnis der Jahrhundertwende tabuisierten Sphären von Traum, Erotik und Tod zum Ausdruck zu bringen.
In der »Verklärten Nacht« nach einem Gedicht von Richard Dehmel ist der spätromantische Stil mit übersteigertem Pathos, schillernder Chromatik und dichter Polyphonie ausgereift. Die einsätzige Komposition folgt dem inneren Konflikt der literarischen Vorlage: Während eines Spaziergangs in heller Mondnacht gesteht eine Frau schuldbewusst ihrem Geliebten, dass sie das Kind eines anderen erwartet. Der Mann aber bekennt sich bedingungslos zu ihr und wird das fremde Kind als sein eigenes annehmen.
Mit einnehmendem Agitato-Spiel und enormer Gefühlsintensität ging das Streichsextett ans Werk. In intensiver Klangrede und vielen feinen dynamischen Schattierungen materialisierten sich Trauer, Erregung und Seelenqual, aber auch die Süße der Liebe.
Der Diseuse Albertine Zehme ist es zu verdanken, dass 1912 die Vertonung der »Dreimal sieben Melodramen des Pierrot lunaire« entstanden. Klänge und Klangfetzen werden durch die Kombination der beteiligten Instrumente in den Miniaturen zum unmittelbaren Ausdruck sinnlicher und seelischer Bewegungen.
Neben dem konzentriert spannungsvollen Vortrag der Instrumentalisten überzeugte Sopranistin Uta Kirchner-Flach mit einnehmender Stimmakrobatik. In einer Mischung aus Gesang und Rezitation skandierte die Sängerin die Verse und tauchte dabei in geheimnisvolle Sphären voller Schauer, Süße und Groteske ein. Der Lohn: tosender Applaus.

Artikel vom 22.02.2006