21.02.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Der Prinz wird
zum Schwan

Vögel fliegen durch viele Märchen

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Märchen kennen keine Vogelgrippe. Schwäne spielen in ihnen aber eine wichtige Rolle. Sie tauchen als verzauberte Königssöhne regelmäßig auf.
Der dänische Märchendichter Hans Christian Andersen. Foto: dpa
»Die wilden Schwäne« heißt das berühmte Märchen von Hans Christian Andersen (1805 bis 1875), in dem die elf Jungen eines Königs von der bösen Stiefmutter durch einen Zauber in Vögel verwandelt werden. Fortan fliegen »elf Schwäne mit Goldkronen auf dem Haupt« verzweifelt über das Land und warten auf die Erlösung von ihrem Fluch. Unter unsäglichen Mühen schafft es Elisa, die Schwester der Königssöhne, das Schicksal zu wenden. Sie verpflichtet sich so lange zur Schweigsamkeit, bis sie aus Brennnesseln elf Panzerhemden geflochten und den Prinzen übergeworfen hat. »An deiner Zunge hängt ihr Leben«, schärft eine Fee Elisa ein. »In den Märchen mit Schwänen geht es um Erlösungsgeschichten«, sagte gestern Helga- Catherina Lüggert dieser Zeitung. Die 71-jährige Bielefelderin erzählt im Deutschen Wesersagen- und Märchenmuseum in Bad Oeynhausen Geschichten von Grimm, Andersen oder aus 1001 Nacht. Wer Märchen intensiv studiere, dem falle auf, dass Vögel und insbesondere Schwäne immer wieder vorkommen. Die edlen Vögel verkörpern die Aristokratie der Tierwelt, und deshalb wurden Prinzen in sie verwandelt und nicht etwa in Schweine. Laut der griechischen Mythologie erschien Zeus der Königstochter Leda in Gestalt eines Schwans. Aus der Liaison entstand die schöne Helena. Die Affäre mit Leda wurde zum Lieblingsmotiv ganzer Malergenerationen, wie unter anderem das Bild von Leonardo da Vinci (1452 bis 1519) zeigt.
In dem Märchen »Die sieben Schwäne« von Ludwig Bechstein (1801 bis 1860) will eine Mutter den starken Einfluss auf ihren Sohn nicht verlieren und lässt die sieben Kinder der Schwiegertochter vom Knecht in einen Wald bringen. Der Diener tötet sie aber nicht, sondern setzt sie lediglich aus. Als sie ihre goldenen Ketten ablegen, um zu baden, werden sie in Schwäne verwandelt. Nur die Schwester behält ihre Menschengestalt, erlöst am Ende die Geschwister und die Stiefmutter endet in einem finsteren Loch.
Den Vögeln komme in Märchen eine wichtige und nützliche Funktion zu, sagte Lüggert. Oft seien sie Freunde des Menschen und Wegbereiter des Guten. So wie im »Aschenputtel« von den Gebrüdern Grimm. Tauben helfen dem Mädchen die Linsen aus der Asche zu lesen und bewahren den Königssohn davor, eine der verkommenen Stiefschwestern zu heiraten: »Rucke di guck, rucke di guck, Blut ist im Schuck (Schuh): Der Schuck ist zu klein, die rechte Braut sitzt noch daheim.«
Nicht nur für Aschenputtel, auch für die »Gänsemagd« gibt es in Grimms Märchen ein Happy End. Helga-Catherina Lüggert: »Das Gänsehüten galt gesellschaftlich als eine der niedrigsten Arbeiten, aber wer es machte, wurde belohnt, mit Glück oder einem Prinzen.« In dem Märchen endet eine Kammerjungfer, die sich als Braut ausgibt, in einem mit Nägeln gespickten Fass. Dadurch widerfährt der wahren Prinzessin, die Gänse hüten musste, Gerechtigkeit.

Artikel vom 21.02.2006