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»Albtraum der Seuchenbekämpfer«

Aasfressende Vögel können den H5N1-Virus schnell verbreiten

Berlin (Reuters/dpa). Beim Kampf gegen die Vogelgrippe an der Ostsee rückt die Gefahr einer Ausbreitung durch aasfressende Vögel zunehmend in den Blickpunkt.
»Von aasfressenden Vögeln geht eine große Gefahr aus, dass diese den Virus unter den Wildvögeln weiter verbreiten«, sagt etwa die Sprecherin des Friedrich-Loeffler-Instituts für Tiergesundheit, Elke Reinking.
Sie mahnt deshalb: »Tote Vögel müssen schnellstmöglich aufgesammelt werden, damit sie nicht als Beute für Aasfresser zur Verfügung stehen.« Die Möglichkeiten für ein effektives Vorgehen gegen die Weiterverbreitung der Seuche durch aasfressende Vögel sind - abgesehen vom raschen Einsammeln toter Tiere - nach Experteneinschätzung sehr gering. Erschwerend kommt hinzu, dass die von der Vogelgrippe betroffene Region an der deutschen Ostseeküste eines der wichtigsten Überwinterungsgebiete für verschiedene Vogelarten ist, die sich auch von Aas ernähren.
Hier versammeln sich im Winter mehrere Tausend Großmöwen, vor allem Silber- und Mantelmöwen. Die bussardgroßen Tiere ernähren sich gerade in Zeiten zugefrorener Gewässer überwiegend von toten oder sterbenden Vögeln und anderem Aas. Ihre Beute finden sie während systematischer Patrouillenflüge - meist lange bevor ein Mensch die sterbenden Tiere ausgemacht und beseitigt hat.
Hinzu kommen heimische Mäuse- und überwinternde Rauhfußbussarde aus Nordeuropa, die bei knappem Angebot an Mäusen ebenfalls auf Aas ausweichen. Auch Seeadler, die sich im Winter ebenfalls verstärkt an den Meeresküsten sammeln, weil die Seen im Binnenland zugefroren sind, sind auf verendete Vögel als Nahrungsquelle angewiesen.
Die großen Greifvögel haben zudem einen Aktionsradius von einigen Hundert Quadratkilometern, innerhalb dessen sie sich bewegen und potenziell das H5N1-Virus verbreiten können. »Ein Albtraum aus Sicht der Seuchenbekämpfung«, sagt ein Mitarbeiter eines Landesveterinärmts. Der Nachweis des auch für den Menschen gefährlichen Vogelgrippe-Virus H5N1 an einer tot aufgefundenen Silbermöwe im Kreis Nordvorpommern und an einem Mäusebussard im Nachbarkreis Ostvorpommern hat Experten deshalb gleich doppelt aufgeschreckt: Es waren die ersten Vogelgrippe-Fälle in Deutschland außerhalb Rügens. Und es war das erste Mal, dass der tödliche Virus an zwei typischen Aasfresser-Arten nachgewiesen wurde.
Unterdessen sprachen sich Experten erneut gegen die Impfung von Nutzvogelbeständen aus. Nach einer Impfung könnten infizierte und geimpfte Tiere nicht mehr unterschieden werden, weil beide Antikörper gegen das Virus ausbilden, sagte der Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), Thomas C. Mettenleiter. Wenn die Infektion nicht erkannt wird, können geimpfte Tiere unbemerkt das Virus weiter verbreiten.
Die Ausbreitung der Vogelgrippe bei Wildvögeln lässt sich nach Einschätzung des Bundesinstituts für Tiergesundheit kaum verhindern. »Wildvögel kann man nicht reglementieren«, sagte die FLI-Sprecherin Elke Reinking. Prognosen, wie weit sich das Virus in das deutsche Festland hinein ausbreiten wird, wollte sie aber nicht geben.

Artikel vom 21.02.2006