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Kultur in den Tagen des Fußballs

»Luftpumpe! Bratwurst!«
ächzen die Sänger im Chor

Das Mädchen hält einen Fußball. Der Ball ist sehr groß, das Mädchen eher klein. »So sieht Elend aus.« Das wahre Elend besteht natürlich darin, dass in ganz Ostwestfalen kein einziges WM-Spiel ausgetragen wird.


Sei's drum: Das Foto der Kleinen hinter dem großen Ball stammt von der Sizilianerin Letizia Battaglia, und die begleitende Elendserklärung kommt von den Kuratoren der Battaglia-Ausstellung (22. Januar bis 5. März) im Herforder Kunstmuseum MARTa. Ein Bild wie ein Symbol: Es wäre doch gelacht, wenn es nicht gelänge, den Fußball-Strom nach OWL zu leiten: mit Kultur!
Zwar darf man bezweifeln, dass Klinsi, Poldi, Schweini und King Kahn jemals Herford besuchen, aber wenn schon nicht die Nationalelf, so macht hier wenigstens die »FC Deutschland« GmbH Station: Mit der Schau »Vogt + Weizenegger - Designmatrix« (25. März bis 7. Mai) nimmt das MARTa an der Optimismus-Kampagne »365 Orte im Land der Ideen« teil. Aktionstag ist der 20. April, wenn in Frank O. Gehrys kühnem Wellenbau neue Design-Ideen vorgestellt werden, so fein herausgearbeitet wie Deutschlands kommende Siege gegen Costa Rica, Ecuador und Polen.
Der optimistischste von allen ist der sportbegeisterte MARTa-Chef Jan Hoet, der bereits zu den Winterspielen in Turin einen Flachbildschirm im Museum aufstellen ließ. »Den WM-Titel machen Deutschland, Holland und Argentinien unter sich aus«, sagte der Belgier, ließ aber offen, wie man drei Nationalelfs in ein Endspiel kriegt. Egal, die Kunst lässt dreie gerade sein.
Hauptsache, es gelingt, das eigene Land den (geschätzt) sechs Millionen Besuchern als perfekten Gastgeber zu präsentieren. Beckenbauer macht die Honneurs, und unmittelbar hinter ihm steht die Kultur in Gestalt André Hellers, des Chefs des künstlerischen Begleitprogramms. DFB und Bundesregierung haben sich etwas einfallen lassen: mehr als 40 Projekte von der Ausstellung »Rundlederwelten« bis zum Oratorium »Aus der Tiefe des Raumes«.
»Struuunz! Aug erlischt, wenn spielen Struuunz!«, falsettiert die Sopranistin in höchster Erregung, und der Chor ächzt im Kollektiv: »Der Linienrichter war's! Du Luftpumpe! Du Bratwurst!« Es spielen die Bochumer Symphoniker, Regie führt Jürgen Flimm, der Intendant der Ruhr-Triennale. Zwei Vorstellungen in der Komischen Oper Berlin, natürlich am 9. Juli, am Tag des Finales Deutschland - Holland - Argentinien.
In bislang drei Ausgaben unserer Kolumne »Fußball philosophisch«, die unsere Leser im Vorfeld und auch während des Turniers begleiten wird, haben wir - ziemlich unernst, aber vollkommen aufrichtig - gezeigt, dass Sport und Kultur eineiige Zwillinge sind. »Football is a branch of the arts«, hat Arsenal-Trainer Arsène Wenger sehr fein bemerkt, Fußball ist ein Ast am Stammbaum der Künste.
Zwei Beispiele: Die Modeschöpferin Vivienne Westwood ließ es sich gerne gefallen, dass Freddy Contreras Stollen unter ihre Pumps schraubte. Peter Dietrich drehte einen Kurzfilm über einen Fußballer, der einen Anstreicher samt Farbtopf von der Leiter kickt - und die unfallbedingte Kleckserei verkaufen die beiden dann für teures Geld in der Schickimicki-Galerie. Fußball-Pumps und Kurzfilm waren gerade erst in der Hamburger Schau »Ball im Kopf - Kult ums Kicken« zu begucken.
Der Fußball und die Kunst lieben sich. Otto Schily dirigierte, als er noch Fußballminister war, den Radetzky-Marsch, der ja, wie uns Preußens Feldmarschall von Moltke wissen ließ, ein fröhlicher Walzer ist. John Cleese (von »Monty Python«) erklärt, dass es keinen Unterschied gebe »zwischen einen Pass von Pelé auf Carlos Alberto im WM-Finale von 1970 und den Gedichten des jungen Rimbaud.«
Der unbezahlbare Markus »Lokomotive« Lüpertz hat einen Fußball gemalt, und auf abgelegenen Südsee-Archipelen (ehrlich wahr!) schnitzen begabte Eingeborene die WM-Helden von 1974 in Holz. Zu allen Zeiten haben sich große Geister mit dem Fußballspiel beschäftigt. »Leben ist Leiden«, sagte Buddha, und seit Uli Hoeneß im EM-Finale 1976 den Ball in den Nachthimmel über Belgrad schoss, wissen wir, was der Mann damit meinte.
Seneca aus dem alten Rom tröstete seine Mutter Helvia, die das Endspiel gegen Karthago vor einem Miniatur-Schwarzweiß-Fernseher verfolgen musste: »Zu einem glücklichen Leben ist kein großer Apparat nötig.« Goethe war Fan durch und durch: »In meinen Adern - welches Feuer! In meinem Herzen - welche Glut!«, jubelte er nach Blüchers entscheidendem Elfmeter gegen Napoleon.
Fußball also wird durch Kultur erst schön. Und was sagt der deutsche Kunstprofessor dazu? Klaus Theweleit (Karlsruhe) sagt dazu: »Ja, ja, ja, alles Quatsch!«


Ein Beitrag von
Matthias Meyer zur Heyde

Artikel vom 01.03.2006