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»Zusatzkosten senken statt Lohn erhöhen«

Im Gespräch: Martin Kannegiesser

Bielefeld (WB). Fünf Prozent mehr Geld will die IG Metall in den bevorstehenden Tarifverhandlungen fordern. Gesamtmetall-Arbeitgeberpräsident Martin Kannegiesser warnt im Gespräch mit Bernhard Hertlein vor den Folgen für Arbeitsplätze in Deutschland.Martin Kannegiesser ist Unternehmer in Vlotho und Gesamtmetall-Arbeitgeberpräsident.

Zum ersten Mal seit längerer Zeit werden Konjunkturprognosen nach oben korrigiert. Ist das der Zeitpunkt, um bei den Tarifverhandlungen zu knausern?
Kannegiesser: Entgeldpolitik muss sich an dem mittelfristigen gesamtwirtschaftlichen Trend ausrichten, nicht an kurzfristigen Konjunkturschwankungen, geschweige denn an Prognosen. Schließlich gehen unsere Personalkosten voll in die Produktkalkulation ein, bestimmen dann Preise und Absatzmengen und nicht zuletzt auch die Entscheidung, ein Produkt im Sortiment zu belassen. VW beispielsweise wird ein Modell Marrakesch, dessen Kalkulation in Deutschland nicht zum erzielbaren Preis passt, erst gar nicht bauen, zumindest in Deutschland nicht. Wir brauchen Augenmaß. Löhne sind stets beides gleichzeitig: Einkommen für unsere Mitarbeiter und Kosten für unsere Betriebe. Beides muss ausgewogen sein.

Um wieviel ist die Arbeit in der Metallbranche im Ausland billiger?
Kannegiesser: Bei uns kostet die industrielle Arbeitsstunde 27,60 Euro, in Ländern wie England, Frankreich oder Spanien schon 20 Prozent weniger. Gar um mehr als die Hälfte billiger ist die Arbeit in vielen osteuropäischen Ländern. Gleichzeitig bilden sich dort industrielle Kerne, wie etwa in der Slowakei um die Automobilindustrie, die frühere strukturelle Nachteile dieser Standorte aufheben. Solche Entwicklungen kann man bei Lohnforderungen nicht einfach außer Acht lassen.

Auch dort steigen die Gehälter.
Kannegiesser: Glücklicherweise ist das so, und trotzdem dürfen wir den Abstand nicht noch weiter erhöhen. Wenn wir in Deutschland die Löhne um fünf Prozent erhöhen, müsste Polen schon 40 Prozent zulegen, damit der Abstand nicht noch größer wird.

Der Wirtschaftsweise Prof. Bofinger sagt, die Löhne müssten um 2,5 bis 3 Prozent steigen, damit der Konsum steigt. Kannegiesser: Wer wünschte das nicht. Tatsache aber ist, dass die Betriebe kein Geld drucken können. Wir müssen es erwirtschaften. Und das wird für die meisten Betriebe von Jahr zu Jahr schwieriger.

Wegen der Globalisierung?
Kannegiesser: Ja. Auf dem heutigen Weltmarkt sind Preiserhöhungen für Erzeugnisse der Metall- und Elektroindustrie so gut wie nicht durchsetzbar. Alle höheren Rohstoff-, Energie- und Personalkosten müssen durch Produktivitätsfortschritt ausgeglichen werden. Das aber ist kaum noch möglich. Die zusätzliche Kaufkraft in Deutschland würde auch gar nicht der Metall- und Elektroindustrie zugute kommen. Welcher normale Verbraucher kauft schließlich schon Mangelstraßen, Schiffe oder Druckmaschinen? 80 Prozent dessen, was die Metallindustrie produziert, wird im Ausland abgesetzt. Wenn beispielsweise mein Unternehmen nur vom deutschen Markt leben müsste, wären wir stets schon am Dienstagnachmittag fertig.

Und wenn Sie die Dinge volkswirtschaftlich betrachten?
Kannegiesser: Dann gibt es bessere Wege, die Kaufkraft der Menschen zu stärken, als die Löhne und Gehälter in unverantwortbarer Weise zu steigern. Von dem, was wir brutto an Erhöhungen beschließen, kommt ja nur kleiner Teil bei den Arbeitnehmern an. Ein Euro Lohnerhöhung, die wir beschließen, verursacht im Betrieb durch die Sozialversicherungsabgaben 1,20 Euro Mehrkosten. Der Arbeitnehmer wiederum sieht netto etwa 50 Cent mehr auf seinem Lohnstreifen. Davon wird er erfahrungsgemäß zehn Cent aufs Sparkonto tragen. Von dem Rest gibt er wiederum mehr als die Hälfte - also 20 bis 25 Cents - für Artikel aus, die im Ausland produziert wurden. Wer also etwas für die Kassen der Arbeitnehmer und gegen die Arbeitslosigkeit tun will, darf nicht die Löhne erhöhen, sondern muss die Lohnzusatzkosten senken.

Bei AEG waren die Arbeitnehmer zu Zugeständnissen bereit. Trotzdem verlieren sie ihren Job.
Kannegiesser: Solche Einzelfälle wird es leider immer wieder geben. Wir können internationalen Konzernen nicht verbieten, dass sie sich für den kostengünstigsten Standort entscheiden. Schließlich richten sich heute auch die Verbraucher in einer Weise wie niemals zuvor nach dem günstigsten Preis. Auch deutsche Unternehmen müssen sich weltweit aufstellen. Sie sollten sich nur darum bemühen, ihre Belegschaft rechtzeitig auf diesen Prozess vorzubereiten und ihn so zu steuern, dass keine Trümmerhaufen zurückbleiben.


Zur bevorstehenden Metall-Tarifauseinandersetzung: Wird es ein harter Arbeitskampf?
Kannegiesser: Auf jeden Fall liegen die Positionen zwischen Arbeitgebern und den Gewerkschaften meilenweit auseinander. Die Forderung der IG Metall enttäuscht uns, weil sie den grundsätzlichen Wandel in der Branche überhaupt nicht berücksichtigt. Etwa 30 Prozent unserer Betriebe können die Lohnforderung schon deshalb nicht erfüllen, weil sie bereits an der Nulllinie oder mit Verlusten arbeiten.

Immerhin sind doch Öffnungsklauseln inzwischen möglich.
Kannegiesser: Unternehmen im Strukturwandel können auf Antrag mit Zustimmung der Tarifparteien Ergänzungstarifverträge abschließen, meist gegen die Zusage von Beschäftigungssicherung. Es wäre eine Pervertierung dieses im Prinzip vernünftigen Konzepts, wenn man Bedingungen des Flächentarifvertrags so hoch schraubt, dass viele Betriebe anschließend per Antrag die überhöhten Leistungen wieder korrigieren lassen müssen. Die große Bandbreite der wirtschaftlichen Leistungskraft unserer Betriebe mit Personalkostenanteil von fünf bis 50 Prozent mit speziellen Firmenkonjunkturen müssen durch eine Komponente im Flächentarifvertrag selbst tariflich darstellbar sein. Allein eine Lohnprozentzahl für alle wird dem nicht mehr gerecht.

Artikel vom 20.02.2006