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Ausnahmezustand auf Rügen nur der Anfang

Noch Streit um Verzug beim Stopp des Seuchenzugs

Von Martina Rathke
Bergen (dpa). Nach dem Ausbruch der Vogelgrippe herrscht auf der Urlauberinsel Rügen Ausnahmezustand.

Wer die Ostseeinsel auf dem einzigen Landweg über den Rügendamm verlassen will, kann dies nur noch über ausgelegte Seuchenmatten tun. Speziell ausgebildete Bundeswehrsoldaten der ABC-Abwehr überwachen den Fahrzeugfluss an der Brücke. Feuerwehrtrupps eilen über die Insel auf der Suche nach weiteren toten Wildvögeln.
Vorsorglich hat der Landkreis nach Absprache mit der Landesregierung die Tötung von Haustieren wie Hühnern, Enten, Gänsen und Puten in besonders gefährdeten Regionen der Insel angeordnet.
Nach den zum Teil haarsträubenden Pannen zu Beginn des Seuchenausbruchs auf Rügen beginnt sich das Räderwerk zu drehen. Doch die Bilder von hungrigen Möwen, die sich an Kadavern möglicherweise infizierter Schwäne laben, machen deutlich, dass längst nicht alle Infektionswege abgeschnitten werden können. »Die Lage ist ernst«, musste so auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gestern nach Gesprächen mit Vertretern des Krisenstabes in Bergen feststellen.
Polizisten riegelten schon kurz nach der Tötungsanordnung gestern Vormittag die betroffenen Höfe mit rot-weiß gestreiften Plastikbändern ab. Fernsehteams können nun nur noch von Ferne ihre Kameras auf die Ställe richten, in denen nun die vorsorgliche Tötung von tausenden Hühnern, Enten und Puten beginnt. Die Arbeit der Medien war in die Kritik geraten.
»Das Problem ist, dass Journalisten sehr nahe an die toten Tiere herangehen und auch das Aufsammeln der Kadaver filmen, teilweise bis in die Kadaversäcke hinein«, sagte der Präsident des Friedrich- Loeffler-Instituts für Tiergesundheit, Thomas Mettenleiter. »Anschließend gehen die Kamerateams mit ihrer kontaminierten Ausrüstung und Kleidung unmittelbar in die Geflügelbestände hinein. Das ist völlig unverantwortlich und genau das, was wir verhindern wollen.«
Der Geflügelhof Kliewe in Mursewiek ist einer der Höfe, denen die Tötung des Bestandes angewiesen wurde. Er habe zu viele Besucher gehabt, sagt Agrarminister Till Backhaus (SPD) in Schwerin. »Wir unterstützen die vorsorglich angeordnete Tötung der Tiere«, erklärt Martin Häger, Schwiegersohn des Hofbesitzers Holger Kliewe, am Telefon. Am Vormittag haben er und seine Mitarbeiter alle 2000 Hühner und Enten zusammengetrieben. »Damit es möglichst schnell geht«, erklärt Häger mit stockender Stimme.
Wie es danach weiter gehen soll, weiß bisher niemand. »Wir sind unsicher, ob wir überhaupt Entschädigungsleistungen erhalten,« sagt der Hofbesitzer. Drei Millionen Euro habe die Familie seit 1991 in die Sanierung des Hofes gesteckt, 20 Arbeitsplätze geschaffen. Die Existenz des Betriebes sei nun akut in Gefahr. Backhaus versprach unterdessen, dass Betriebe, die alle Schutzmaßnahmen ordnungsgemäß umgesetzt haben, den Tierschaden ersetzt bekommen.
Die Tourismusbranche, Haupterwerbszweig auf der größten deutschen Insel, bangt wegen der Vogelgrippe inzwischen um die bevorstehende Saison. Ferienwohnungen und Hotelzimmer seien schon storniert worden.

Artikel vom 20.02.2006