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Die Leidenschaft lebt
wohl doch nicht in Turin

Athleten beklagen die fehlende Olympia-Stimmung

Turin (dpa). Finanznöte, bittere Klagen der Athleten über die schlechte Stimmung und Probleme mit den Tickets: Zur Halbzeit der Olympischen Winterspiele tun sich für die Organisatoren viele Baustellen auf.
Die Stadt Turin muss den Machern mit einer Finanzspritze in Millionenhöhe unter die Arme greifen. Da viele Zuschauer ihre Eintrittskarten nicht nutzen, hat das Organisationskomitee TOROC erste Maßnahmen ergriffen. Die Sportler und auch Klaus Steinbach, der deutsche Chef de Mission, vermissen derweil das richtige Olympia-Gefühl: Viele Wettkämpfe werden dem Motto »Passion lives here« (Hier lebt die Leidenschaft) nicht gerecht.
»Hier werden drei Medaillengewinner geehrt und dann sind da nur 100 Zuschauer. Das ist echt bitter«, sagte die deutsche Skirennläuferin Monika Bergmann-Schmuderer nach der unwürdigen Siegerehrung der alpinen Kombination. Vor allem die traditionellen alpinen Disziplinen finden vor kleiner Kulisse statt, während Funsportarten Snowboard und Freestyle sehr beliebt sind.
»Vor halb leeren Rängen Sport zu machen, ist schon manchmal traurig«, sagte Steinbach, der auch »gewisse Mängel in der Infrastruktur« feststellte. Der NOK-Präsident hat Mühe, unter seinen 161 Athleten ein Mannschaftsgefühl zu entwickeln: »Das war nicht ganz so einfach bei drei Olympischen Dörfern und Außenquartieren.« Zu zerrissen sind diese Spiele, wo sich die Cracks auf Eis in Turin der Konkurrenz stellen und die Ski- sowie Schlitten-Wettbewerbe in den Bergen ablaufen.
Mehr als die Klagen über die Atmosphäre beschäftigt das TOROC wieder einmal die finanziellen Engpässe. »Das Organisationskomitee hat keinen flüssigen Cent mehr in der Kasse, um Lieferanten zu bezahlen«, schrieb die Tageszeitung »La Stampa«. Deshalb haben die Stadtväter beschlossen, eine erste Zahlung von 19 Millionen Euro an das Organisationskomitee TOROC vorzuziehen.
Bereits vor den Spielen war klar geworden, dass es ein Defizit von mindestens 40 Millionen Euro geben wird. Nach monatelangem Tauziehen hatten sich die Stadt und die Region bereit erklärt, das Finanzloch zu stopfen. Die Organisations-Kosten werden auf 1,5 Milliarden Euro beziffert, hinzu kommen etwa zwei Milliarden für Bauten und Infrastruktur.
Erstmals räumte das TOROC ein, dass zahlreiche Tickets für Wettkämpfe nicht genutzt werden. »Die Leute haben Karten und kommen nicht. Das bereitet uns etwas Bauchschmerzen«, klagte Generaldirektor Cesare Vaciago.
Den Olympia-Machern bereitet es einige Sorgen, dass Fernsehbilder um die Welt gehen, auf denen Langläufer durch einsame Landschaften gleiten. Dass so manche Zuschauer nicht an der Loipe stehen, liegt für Vaciago auch daran, »dass sie in der Lounge verschwinden oder Karten für einige Wettkämpfe haben, die gleichzeitig laufen.« Dazu kommt, dass Sponsoren oder Schulklassen Tickets verfallen lassen.
Dennoch sind die Verantwortlichen zufrieden mit der bisherigen Resonanz. Von den insgesamt eine Million Tickets wurden bis Samstag mehr als 850 000 verkauft. »Wir freuen uns sehr über die Begeisterung der Bevölkerung«, sagte Vaciago ungeachtet der Klagen der Sportler und der Tatsache, dass etwa beim Rodeln nur jeder vierte Tribünenplatz belegt war.

Artikel vom 20.02.2006