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Pluschenko - ein
»Pate« auf Eis

Lindemann will zum Psychologen

Turin (dpa). Als Jewgeni Pluschenko Küsse in die kreischende Menge warf und den Triumph nach seiner One-Man-Show genoss, saß Stefan Lindemann nur noch als Fan auf der Tribüne der Pavavela-Arena.
»Ich schaue ihm gern zu, er ist der stabilste Läufer, hat eine bemerkenswerte Konstanz und läuft von Programm zu Programm fehlerfrei«, schwärmte der fünfmalige deutsche Meister, der mit Rang 21 eine riesige Enttäuschung erlebte. »Im Langlauf gibt es eine Schutzsperre. Man muss sich ja nicht ständig von der Konkurrenz vorführen lassen, mit der man einmal mitgehalten hat«, schimpfte Trainerin Ilona Schindler am Morgen nach dem Debakel ihres Schülers, der immerhin schon einmal WM-Dritter war.
Ganz zufrieden war aber auch der Olympiasieger nicht mit sich, obwohl er seinen Weltrekord auf 258,33 Punkte um fast sieben Zähler verbessert hatte: »Ich habe den ganzen Druck gespürt. Deshalb habe ich nur meinen Job gemacht, nichts Besonderes«, berichtete der 23 Jahre alte St. Petersburger. Nach seiner Kür zur Filmmusik des »Paten« nickte der in schwarz gekleidete Pluschenko kurz und knapp nur einmal mit dem Kopf. »Glauben Sie mir, es ist mein Traum gewesen, ich bin so glücklich«, versicherte er später, als die Freude der Anspannung wich.
Mit der Goldmedaille in der Hand lüftete er zudem das große Geheimnis um seine Zukunft: »Ich liebe es, mich zu messen und zu kämpfen. Warum sollte ich zurücktreten? Bei den Winterspielen in Vancouver bin ich erst 27, das ist doch nicht alt.« Zwar fühlt sich der Vielfach-Springer nach zwei Leistenoperationen auf dem Gipfel seiner Leistungsfähigkeit, aber auch Knie und Rücken haben durch die unzähligen harten Landungen auf dem betongleichen Untergrund gelitten.
Pluschenko will es aber allen zeigen und die Liste der russischen Olympiasiege fortsetzen. Zum fünften Mal hintereinander gewann ein Russe Gold bei den Herren. Macht Pluschenkos Körper mit, scheint weiterem Erfolg nichts im Weg zu stehen, zumal die Konkurrenz sich ständig selbst ein Bein stellt. So blieben der Schweizer Weltmeister Stephane Lambiel (231,21 Punkte) und der Kanadier Jeffrey Buttle (227,59) am Donnerstagabend blass und konnten gar nicht glauben, auf dem Podium zu stehen.
Umso bitterer war es, dass Stefan Lindemann nicht einmal mit den zehn besten Läufer mithalten konnte. Ginge es nach Trainerin Ilona Schindler, wird die Weltmeisterschaft vom 20. bis 26. März in Calgary ohne den EM-Dritten von 2005 stattfinden. »Wir können das Ergebnis nicht schön reden, vielleicht ist es besser, man macht einen Strich ziehen und bereitet sich auf die neue Saison vor«, sagte sie.
Auch Reinhard Mirmseker, Präsident der Deutschen Eislauf-Union, gab sich ratlos: »Ich weiß überhaupt nicht, wovor Stefan Angst hat. In Normalform hätte er Dritter oder Vierter werden können.« Nun sieht es danach aus, dass der EM-Achte Silvio Smalun (Oberstdorf) zur WM fährt und Lindemann mit einem Sportpsychologen arbeiten wird. »Das Problem ist grundlegend, sehr tief und muss erst einmal analysiert werden«, meinte Schindler.

Artikel vom 18.02.2006