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»Das war ja sooooo schön«

»Golden Girls« feierten bis in den Morgen - Anschütz kündigt Rücktritt an

Turin (dpa). Im Champions Club spielten die Berliner Philharmoniker bei Mozarts Kleiner Nachtmusik groß auf, im Thüringen-Haus hauten Schlagzeuger kurz vor Mitternacht auf die Pauke: Während vier der fünf »Golden Girls« bis in die Morgenstunden ausgelassen feierten, hatte sich Anni Friesinger längst ins Bett verabschiedet.

»Leider darf ich den Triumph noch nicht so genießen, wie ich es gern würde. Am Sonntag sind die 1000 Meter - und da will ich nichts falsch machen«, meinte die Gold-Hoffnung aus Inzell und verhielt sich auch in der Stunde des rauschenden Team-Erfolges überaus professionell.
Um so ausgelassener fiel die Turiner Party für Claudia Pechstein nach dem Gewinn ihrer fünften olympischen Goldmedaille aus. Nach dem »klassischen« Empfang um 23.12 Uhr im Champions Club am Po mussten sie und ihre Berliner Gefährtin Lucille Opitz einen »Gold-Marathon« mit Umarmungen und Küsschen hinnehmen. Mit ihrem Ehemann Marcus, den Eltern und Schwester Sabine stieß sie immer wieder mit alkoholfreiem Sekt an.
»Erst nach der Saison werde ich richtig die Sau rauslassen«, kündigte sie an. Dann ging der Langstrecken-Lauf mit TV-Interviews weiter. »Ich bin total glücklich. Als mein Trainer kam und ganz ruhig sagte: 'Jetzt haben wir das fünfte Gold' - das war ja sooooo schön«, flüsterte die erfolgreichste deutsche Winter-Olympionikin ergriffen ins Mikrofon.
Kurz vor Mitternacht brachen auch in der »Casa Thuringia« alle Dämme. Hunderte Fans erhoben sich von den Plätzen und begrüßten Daniela Anschütz-Thoms und Sabine Völker mit »Standing Ovations«. Die Band Acoustica zelebrierte für die beiden das Schlagzeug-Solo aus Völkers Lieblings-Titel »Sunday bloody Sunday« der Gruppe U2. »Was Dani-Hasi geleistet hat, ist unbeschreiblich - ich kann sie nur umarmen«, meinte Trainer Stephan Gneupel.
Daniela Anschütz-Thoms hatte als einzige der »Golden Girls« alle vier Rennen bestritten und sich auch Komplimente von Claudia Pechstein verdient. »Dieses Lob war Balsam«, meinte die einstige »Schattenfrau« und genoss den Moment. Überraschend verkündete sie dann gegen Mitternacht das Ende ihrer Karriere nach der nächsten Saison. »Es gibt ein Leben nach dem Sport. Ich will eine Familie gründen, und natürlich möchten wir Nachwuchs haben«, offenbarte die Thüringerin.
»Wir haben alle eine unheimliche Aggression aufgebaut und immer wieder gesagt: Wir packen es, wir packen es. Und wir haben es gepackt«, lobte sie den Geist der Truppe, der im Oval Lingotto nicht erst beim »Kampfes-Schwur« der drei Musketiere vor dem Finale sichtbar wurde. »Die Harmonie war unser Trumpf«, fügte sie hinzu.
Anni Friesinger, die nach ihrem zweiten Olympiasieg schon bei der Blumen-Zeremonie die Tränen nicht zurückhalten konnte, fiel danach ihrer Mutter Janina in die Arme und reichte anschließend den Strauß an sie weiter. »Die Blumen werden jetzt mit Spray konserviert und ewig als Erinnerung an diesen großen Augenblick erhalten bleiben«, berichtete ihr Manager Klaus Kärcher.
Schon wenige Stunden nach dem Kraftakt, bei dem »Gold-Anni« mehr Führungs-Arbeit leisten musste als ihre beiden Gefährtinnen, saß sie nach einer erneuten Doping-Kontrolle gegen 11 Uhr schon wieder auf dem Fahrrad und strampelte sich den Kopf frei für die bevorstehenden 1000 Meter.

Artikel vom 18.02.2006