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Auf der letzten Rille zu Bronze

Tobias Angerer befreit das Langlauf-Team und sich selbst vom Druck

Turin (dpa). Erst lag Tobias Angerer entkräftet und fassungslos im Schnee, dann vergoss er in den Armen von Axel Teichmann Tränen des Glücks.
Im bislang härtesten Olympia-Rennen über 15 Kilometer in der klassischen Technik gelang dem Weltcup-Spitzenreiter in Pragelato mit dem Gewinn der Bronzemedaille der Befreiungsschlag für die deutschen Langläufer. »Ich bin so glücklich. Eine Einzel-Medaille war mein großes Ziel«, jubelte der Vachendorfer über Platz drei hinter dem Esten Andrus Veerpalu und Lukas Bauer aus Tschechien, durch den auch der Druck vor den Staffel-Entscheidungen am Wochenende abgenommen hat.
»Ohne Axel hätte ich das nicht geschafft. Es ist eine Medaille für mich, für das ganze Team und für Axel. Das habe ich ihm gesagt, als wir gemeinsam geweint haben«, ließ Angerer die emotionalen Szenen nach dem Zieleinlauf Revue passieren. Erst am Donnerstagabend war der am Oberschenkel operierte Teichmann aus Lobenstein nach Pragelato gereist. Am Freitag war er ein mitentscheidender Mann bei den Skitests. »Es ist ganz wichtig, dass er da ist. Er hat uns Glück gebracht«, sagte René Sommerfeldt (Oberwiesenthal), der nach seiner Magen-Darm-Grippe Zwölfter wurde. Noch besser war Andreas Schlütter. Der Routinier aus Oberhof belegte Rang sieben. Franz Göring (Zella-Mehlis) wurde 44.
»Es waren meine Bedingungen. Ich habe mich über den Schneefall richtig gefreut«, sagte Angerer, der sich völlig verausgabte. 1,3 Kilometer vor dem Ziel lag der Bayer mit 1,9 Sekunden Rückstand auf Rang vier. »Ich bin auf der Schlussgerade nur gewankt. Das war ein Kampf in Trance gegen mich selbst«, sagte Angerer, der schon am letzten Anstieg am Ende seiner Kräfte zu sein schien. »Heute hat der Wille entschieden. Ich war wirklich auf der letzten Rille«, beschrieb er seine Gefühlslage.
Trotz des Erfolges erteilte Bundestrainer Jochen Behle Party-Verbot. »Es gibt einen kleinen Champagner, dann beginnt die Vorbereitung auf die Staffel. Der Tobi ist Profi genug um zu wissen, was auf ihn zukommt.« Wie allen waren dem Coach zentnerschwere Steine vom Herzen gefallen. »Der Druck auf dem Team war gewaltig. Um so glücklicher bin ich jetzt für die Athleten, dass das ausgestanden ist. Die Mannschaft hat gezeigt, dass sie stabil ist und Tobi hat sich als Weltcup-Spitzenreiter die Medaille besonders verdient. Er hat gezeigt, dass er in dieser Saison der Beste ist«, sagte Behle, der aber auch von viel Glück sprach. »Bei diesen unwirtlichen Bedingungen wusste keiner, was passiert. Ich bin froh, dass sich am Ende die durchgesetzt haben, die man vorn erwarten musste.«
Wieder einmal entschieden die Ski-Techniker einen Wettbewerb in Pragelato. Bei starkem Schneefall entwickelte sich das Rennen zur Lotterie, bei der die Norweger nur Nieten zogen. »Wir haben bis zum Schluss noch getestet und für unsere Athleten das bestmögliche Material ausgesucht«, sagte Chef-Techniker Uwe Bellmann. Und es gab überschwängliches Lob. »Die Jungs haben die Ruhe bewahrt und uns tolles Material zur Verfügung gestellt«, sagte Schlütter.

Artikel vom 18.02.2006