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Ärzte-Boykott trifft Kassen

Mediziner wollen bundesweit Behandlungsprogramme kündigen

Von Ernst-Wilhelm Pape
Bielefeld (WB). Der Protest der niedergelassenen Ärzte in Deutschland gegen aus ihrer Sicht unhaltbare Arbeitsbedingungen, ausufernde Bürokratie und chronische Unterfinanzierung medizinischer Leistungen trifft jetzt auch Krankenkassen.

Nach Großkundgebungen und Praxisschließungen werden die Protestaktionen verschärft. Geplant ist die bundesweite Nichteinhaltung oder Kündigung von speziellen Behandlungsprogrammen für chronisch Kranke. Nach Angaben des Hartmannbundes (Verband der Ärzte Deutschlands) könnten die Verträge mit den Krankenkassen bereits zum 1. April gekündigt werden. Von dieser Maßnahme seien vor allem die AOK, die Barmer Ersatzkasse, die DAK und die Innungskranken-Kassen betroffen, sagte der Vorsitzende des Landesverbandes Westfalen-Lippe, Dr. Klaus Reinhardt (Bielefeld), am Freitag dieser Zeitung. Diese Kassen erhielten dann für die Spezialprogramme aus dem sogenannten Risikostrukturausgleich kein Geld mehr und kämen in große Zahlungsschwierigkeiten.
Der finanzielle Ausgleich in der gesetzlichen Krankenversicherung soll verhindern, dass sich einzelne Kassen im Wettbewerb Vorteile verschaffen, indem sie vor allem um junge, gesunde und gut verdienende Versicherte werben. Von einem Vertrags-Boykott der Ärzte würden zum Beispiel die Techniker Krankenkasse und die jungen Betriebskrankenkassen profitierten, die dann weniger an Ausgleich zahlen müssten. Spezielle Behandlungsprogramme gebe es für Diabetiker, Bluthochdruck-Patienten, Brustkrebs-Patienten und Asthma-Kranke, sagte Reinhardt. Auch vor Einführung der Programme seien die Patienten schon optimal behandelt worden. Durch die Programme werde vor allem der Geldfluss zwischen den Kassen geregelt. So erhalte die AOK für einen Diabetiker, der an dem Programm teilnehme, 5000 Euro zusätzlich. Der Arzt werde mit 10 bis 15 Euro bedacht. Auch nach einer Vertragskündigung werde der Patient weiter gut versorgt.
Als einen üblen Eingriff in das Arzt-Patienten-Verhältnis und die Therapiefreiheit bezeichnete Dr. Reinhardt das am Freitag vom Bundestag verabschiedete Arzneimittelspargesetz. Ärzten drohe ein Honorarabschlag, wenn sie zu teure Medikamente verordneten. Auf der anderen Seite gebe es für Ärzte, die am Patienten sparten, einen Bonus. Das sei perfide.
Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) haben bereits 30 000 der 100 000 Arztpraxen in Deutschland mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. KBV-Sprecher Dr. Roland Stahl: »Die Ökonomie verdrängt immer mehr den Heilungswillen«.
Der stellvertretende Vorsitzende des NAV Virchow-Bundes (Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschland) in Westfalen-Lippe, Dr. Ernst-Rüdiger Osterhoff aus Preußisch Oldendorf (Kreis Minden-Lübbecke), hat das Arzneimittelspargesetz wie auch Rabattverträge zwischen Krankenkassen und Pharmaunternehmen als »Anleitung zur Körperverletzung von Patienten« bezeichnet. Die Therapie werde jetzt vom Staat und den Kassen gesteuert sowie ein neues bürokratisches Fass aufgemacht.
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Seite 4: Kommentar

Artikel vom 18.02.2006