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Annäherung der Richter
an die Gesellschaft

Habilitationspreis der Unigesellschaft für Dr. Jörg Requate

Bielefeld (sas). Der Habilitationspreis der Westfälisch-Lippischen Universitätsgesellschaft geht in diesem Jahr an einen Historiker: Privatdozent Dr. Jörg Requate wird ausgezeichnet für seine zeitgeschichtliche Arbeit zur Frage »Demokratisierung der Justiz? Rechtsdenken und Reformbestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland von den 1950er bis 1980er Jahren.« Dotiert ist der Preis mit 3000 Euro.

»Eigentlich gab es zwei Demokratisierungsphasen«, erläutert der 43-Jährige. Die erste erfolgte direkt nach dem Zweiten Weltkreg, als eine demokratische Justiz aufgebaut werden musste - wenn auch mit dem mehr oder weniger alten Personal. Die zweite Phase begann in den 60er Jahren, als einige Skandalprozesse für Aufsehen sorgten und die Frage nach der Vergangeneheit mancher Richter erneut hochkochte.
»Soziologische Untersuchungen ergaben zudem, dass weit mehr als die Hälfte der Richter aus der Beamtenschaft kam. Daraus wurde gefolgert, dass sie eher staatsorientiert und konservativ seien und nicht den Durchschnitt der Bevölkerung repräsentierten.« Zunehmend stellte sich die Frage nach dem politischen Charakter der juristischen Tätigkeit, danach, ob Richter reine Sachentscheidungen träfen oder durch ihre Auslegung der Gesetze auch die Möglichkeit hätten, die Gesellschaft zu verändern.
»Damals wurde die Forderung nach dem politischen Richter gestellt. Einer der Wortführer war Rudolf Wassermann, der zumindest das Bewusstsein dafür schärfen wollte, dass die Arbeit auch eine politische sei.« Die Ausbildung der Juristen wurde angeprangert, es gab Reformversuche - auch an der Universität Bielefeld - und Ende der 60er bis Anfang der 70er Jahre bis in konservative Kreise hinein die Vorstellung, dass Veränderungen nötig seien, erklärt Requate. Die Stimmung schlug nach 1972 um, auch und gerade linke Juristen forderten dann die Abkehr vom »politischen Richter«, nachdem das Bundesverfassungsgericht eine Reihe von »roten« Gesetzen (zum Beispiel zur Abtreibung oder Wehrpflicht) gekippt hatte.
Politisch, gar parteipolitisch wird heute kein Jurist argumentieren - »auch wenn er gesellschaftspolitische Ideen hat«. Der »Linksschwenk« blieb aus, gleichwohl, resümiert der Historiker, spiegeln die Juristen heute deutlicher die Gesellschaft. Auch wenn der »Mainstream« eher konservativ-liberal sei, sei die Richterschaft pluralistischer geworden - angesichts dessen, dass die Urteile im Namen des Volkes gesprochen werden, nur von Vorteil.
Jörg Requate, gebürtiger Bielefelder, legte das Abitur am Ratsgymnasium ab und studierte in Bielefeld und Freiburg, seine Promotion schrieb er in Berlin. Der Vater von drei Kindern ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bielefelder Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie. Die Verleihung des Habilitationspreises findet am 31. März im Rahmen der Feier zum 40-jährigen Bestehen der Universitätsgesellschaft statt.

Artikel vom 17.02.2006