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Ehefrau Erika bekommt immer die erste Zeitung

Seit 38 Jahren ist Willy Stöppel in aller Frühe auf den Beinen

Von Silvia Scheideler
»Piep, Piep«, Willy Stöppel schlägt die Hand auf den Wecker. Es ist 3.15 Uhr in der Nacht. Ehefrau Erika dreht sich noch einmal 'rum. Ein bisschen Anlauf braucht der 66-Jährige schon. Seit 38 Jahren steht der Paderborner auf, wenn andere noch träumen.

Mehr als 70 Haushalten bringt er jeden Tag, ausgenommen sonntags und Urlaub, das WESTFÄLISCHE VOLKSBLATT ins Haus. »Bevor es los geht, trinke ich immer ein Glas Wasser.« Dann der Frühstart mit dem Fahrrad samt Anhänger oder, je nach Wetterlage, mit dem Auto.
Stockdunkel ist es in der Stadtheide. Um 4 Uhr ist keine Menschenseele zu sehen. Mitunter trifft Stöppel zwei junge Männer, die auf den ersten Bus warten. »Wir grüßen uns immer«, erzählt er. Wenn er die Zeitungen aufgeladen hat, geht es zurück nach Hause: »Erika bekommt immer zuerst die Zeitung.« Bis vor ein paar Jahren hat das Ehepaar gemeinsam die Zeitungen zugestellt - mehr als 35 Jahre lang. Vielleicht hat Erika Stöppel (64) deshalb noch die Uhrzeit »im Blut«.
Für Willy Stöppel bleibt keine Zeit zum Lesen. Die Menschen im Bezirk 368/Stadtheide warten auf die neuesten Nachrichten. Und die kommen pünktlich, schon seit 38 Jahren. »Ich verwöhne meine Leute auch«, lacht Stöppel. »Ich hatte sogar mal den Haustürschlüssel einer älteren Dame, die im Mietshaus wohnte. Sie hat die paar Meter bis zum Briefkasten nicht mehr geschafft. Der habe ich jeden Morgen die Zeitung direkt vor die Wohnungstür gelegt.«
Bei einem Mehrfamilienhaus muss der Zusteller mit Schwung arbeiten, da fliegt die Zeitung bis auf den Balkon - »besonderer Kundenwunsch.« Um 5.30 Uhr hat der 66-Jährige seine Runde hinter sich gebracht. Mit einer Tüte frischer Brötchen kehrt er zurück. »Manchmal sitzt meine Frau dann immer noch in der Küche und liest.« Für ihn geht's erst einmal zurück ins Bett. Minuten und er ist eingeschlafen.
Gefrühstückt wird gemeinsam um 9 Uhr. Seit ein paar Monaten kann es es ab und zu auch etwas später werden. Die Stöppels passen nämlich auf Enkel Mark Tyler auf, wenn Tochter Iris arbeiten geht. »Der Kleine weckt mich dann«, lacht Willy Stöppel. Dann wird er zum Tagesopa.
Bis Juni 1996, als er in den Vorruhestand ging, stand der Paderborner nach dem Austragen der Tageszeitungen um 6 Uhr zur Frühschicht bei der Hella GmbH im Industriegebiet Mönkeloh auf der Matte. Wie er das geschafft hat, kann er heute gar nicht mehr sagen. »33 Jahre haben meine Frau und ich zwei Bezirke mit Zeitungen versorgt«, erzählt Stöppel. Seit 2003 lässt er es mit nur einem Bezirk ruhiger angehen, schließlich ist er ja auch allein unterwegs.
70 - das ist das Ziel, so lange möchte er noch als Bote arbeiten - wie sein Schwiegervater. Die Eltern von Erika Stöppel, Maria und Wilhelm Morfeld, haben das WESTFÄLISCHE VOLKSBLATT auch viele Jahrzehnte ausgeteilt.
Als 1966 Sohn Andreas zur Welt kam, entschied sich Erika Stöppel für den Beruf der Zeitungsbotin: »Ich hätte es nie übers Herz gebracht, ihn wegzugeben.« Da war der Frühaufsteher-Job genau das Richtige für sie. Erst ging sie allein, aber schon bald wurde ihr Mann zum treuen Begleiter.
38 Jahre Bote, da hat sich auch vieles an dem Job verändert. Dass er nicht mehr bei den Lesern kassieren geht, vermisst Stöppel. »Den persönlichen Kontakt gibt es kaum noch.« Seit 2003 wird nur noch per Bankeinzug oder Überweisung gezahlt. »Bis zuletzt gab es ein paar Leser, die sich gegen diese Veränderung gesträubt haben. Die haben sich gefreut, wenn ich einmal im Monat auf ein Pläuschchen vorbeikam.«
Schon denkt Stöppel an den Sommer. »Frische Luft, kein Autoverkehr um die Uhrzeit, Vogelgezwitscher.« Die Bewegung ist ein Grund dafür, weshalb er den Zustellerberuf so mag: »Sonst kommen noch die Pfunde.«

Artikel vom 15.03.2006