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Institut der deutschen
Wirtschaft (Köln)

»Kostenlose Kitas bringen volkswirtschaftlich Nutzen.«

Leitartikel
Nüchtern-kühle Einigkeit

Vom Kind her
denken -
schöner Schein


Von Rolf Dressler
Man hört und liest ja so allerhand Absonderliches, wenn sich in deutschen Landen Erwachsene über die lieben Kleinen verbreiten.
Denn zu weit klaffen heutzutage die Ichverliebtheit der »modernen« Erwachsenen und die Wünsche und ganz natürlichen Erwartungen von Kleinkindern und Jugendlichen auseinander. Nur, wer gesteht sich das schon ehrlich ein?
Was ist denn tatsächlich damit gemeint, wenn Politikschaffende, Sozialwissenschaftler, Pädagogen, Gewerkschafts- und Unternehmerverbände dazu aufrufen, es sei dringend geboten, wieder viel stärker als bisher »vom Kind aus zu denken«? So blumig sie ihre Mahnworte auch garnieren mögen, in dem nüchtern-praktischen Ziel sind sich alle offenbar einig, beinahe wie eine verschworene Gemeinschaft: Reichlich neue staatliche Betreuungseinrichtungen müssten rasch her, sprich Babykrippen, Kindertagesstätten und Kindergärten, selbstverständlich mit möglichst vielen Plätzen für die Ganztagsbeaufsichtigung.
Vom Kind her denken? Was für ein schöner Schein!
Gewiss, laut Umfragen des Bundesfamilienministeriums ver- langen heute bereits gut 60 Prozent der jungen Erwachsenen »ein bedarfsgerechtes und qualitäts- orientiertes Betreuungsangebot« auch schon für Kinder unter drei Jahren. Und in diesen Chor stim- men freudig fordernd Wirtschafts- spitzenverbände, Gewerkschafts- bund und Jugendforscher ein. Nur, wer bei Väterchen Staat, dem vermeintlich Allzuständigen, derart technokratisch-kühl »die Anpassung der Kinderbetreuung an die Erwerbsrealitäten« einklagt, der sollte redlicherweise dazu stehen, dass er zuvorderst von der Erwachsenenwelt her denkt, anstatt das Ur-Interesse unserer Sprösslinge zu würdigen.
Der sogenannte moderne Mensch leistet sich aber auch noch andere Denkwürdigkeiten und Zumutungen zu Lasten derer, die sich noch nicht zur Wehr setzen können oder denen das Lebensrecht, das Zur-Welt-Kommen überhaupt verwehrt wird.
Um mindestens 160 000 wächst Jahr für Jahr die Zig-Millionenzahl sogenannter Trennungskinder, also jener Scheidungswaisen, deren Eltern immer öfter schon nach wenigen Jahren Ehe wieder auseinanderlaufen. Stille Opfer einer unseligen Wegwerfmentalität, die selbst vor dem innigsten Treuebund nicht haltmacht, den Mann und Frau miteinander schließen.
Und als wären die Jahr um Jahr hunderttausendfachen Abtrei- bungen - noch dazu im historisch beispiellos wohlhabenden Deutschland - noch nicht beschä- mend genug, bescheinigte dieser Tage nun auch das Oberlandes- gericht Karlsruhe einem jungen Elternpaar, dass es für ein unge- wolltes, gesundes Kind Scha- denersatz von dem behandelnden Frauenarzt verlangen könne, weil die von ihm verordnete Verhü- tungsmethode versagt habe.
Was wohl wird in diesem Men- schenkind vorgehen, sollte es je erfahren, dass es eigentlich überhaupt nicht erwünscht war - ja, dass seine Eltern deswegen sogar eine Entschädigung vor Gericht erstritten...?

Artikel vom 22.02.2006