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Dylan und seine Jungs
lassen es scheppern

»A Musical History«: So schön war's mit »The Band«

Von Matthias Meyer zur Heyde
Bielefeld (WB). Falls der Händler sagt, gibt's nicht mehr, lassen Sie sich nicht abwimmeln. Wenn auch als Import, so ist »A Musical History« doch noch auf dem Markt: fünf CDs, eine DVD und ein Buch - 111 Songs von »The Band« und eine Fülle von Informationen über Bob Dylans legendäre Truppe.
1970 tourten »The Band« und viele andere Musiker beim »Festival Express« durch die USA. Hier fachsimpelt Rick Danko mit Janis Joplin.

Bevor die »Huckleberry Finns der Popmusik« die Bühnen der verräucherten Spelunken des amerikanischen Südens enterten, musste der Rock'n'Roll laut gespielt werden und allerlei stilfremde Einflüsse verkraften. »The Band« aber, der Leadgitarrist Jaime »Robbie« Robertson, der Bassist Rick Danko, der Keyboarder Garth Hudson, der Drummer und Sänger Levon Helm sowie der Gitarrist Richard Manuel, spielten, als sei das 19. Jahrhundert zum zweiten Mal angebrochen.
»Come on, baby, let's take a little walk«: Das Quintett, dessen Mitglieder 15 Instrumente beherrschten, war in den späten 50ern mit Ronnie Hawkins durch die Staaten getingelt, und welcher Song könnte die bierselige Stimmung am Tresen besser einfangen, die enthemmten Dorfschönheiten inniger umarmen und elegantere Kinnhaken austeilen als das wüste »Who do you love?«, mit dem unser musikalischer Trip beginnt. »Bacon Fat«, benannt nach dem höchst ungesunden Hauptnahrungsmittel der fidelen Truppe, zeigt, worin viele späte, aber bekanntere Epigonen musikalisch wurzeln, »Leave me alone« - Instrumente raus und losgescheppert - verbreitet gute Laune. Und um den bloß auf die Kohle schielenden Produzenten das Maul zu stopfen, darf's auch mal ein simples »Uh uh uh« sein, das sich anhört, als hätte jemand den Schalter auf die »Hollies« umgelegt.
Fingerschnippen, ätsch, ich hab 'n Mädchen, du hast keins (»Liza Jane«): Das ist unbekümmerte Lebensfreude, die unvermittelt der inbrünstigen Hymne auf jene Zeiten weicht, in denen das Wünschen noch geholfen hat (»The stones I throw«). Und nun, Gentlemen, lupfen Sie den Hut, Ladies, bitte einen Knicks: Es tritt auf his zimmermanship mit »Can you please crawl out your window?«. Bob Dylan in Hochform, egal ob er's schwer hat (»I ain't got no home«) oder ob er seinem Kind ewiges Glück wünscht (»Forever young«) - zum Heulen schön, eindrucksvoller noch als im »Last Waltz«-Konzert.
Vaudeville-Klänge und Kompositionen, die dem polnischen Neutöner Penderecki geschuldet sind, Rock im D-Zug-Tempo und maulfaule Balladen aus dem Schaukelstuhl - so bewegen sich, Dylan vorneweg, die fünf Virtuosen durch jene seligen Dekaden, da die Plastikmusik, die aus dem Computer kommt, noch nicht erfunden war. Tanzen Sie zum nervösen Stomp von »The shape I'm in«, wundern Sie sich über ein Akkordeon à la Hans Albers (»When I paint my masterpiece«), vergleichen Sie den »Long black veil« mit Johnny Cashs Country-Version, und freuen Sie sich über zahlreiche Tracks, die nie zuvor auf Tonträger veröffentlicht wurden.
»Life is a carnival«, »Chest fever«, »The weight«, der »Mystery train« und andere Klassiker der Truppe sind feste Stationen auf dieser musikalischen Schussfahrt ins Glück. Wer sich bisher nicht zu den Fans von »The Band« zählte, muss hier glatt einer werden.

Artikel vom 08.03.2006