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Ich trug das Tablett mit dem Tee und einem Teller von Mrs Ps vom Vorabend übrig gebliebenen Amuses gueules in den Salon. Unser Gast war entzückt und schaufelte sie sich beidhändig in den Rachen. Der Tee war allerdings weniger zu seiner Zufriedenheit.
»GibtÕs keine Milch?«, fragte er.
Ich verdrehte die Augen in Richtung Bel, die mich sotto voce mit weiteren Verwünschungen bedachte und aus dem Zimmer stürmte. Jetzt waren wir allein. Ich spürte, dass er mich ansah, und ich wusste, dass der Schürhaken in seiner Reichweite lag. Ich starrte auf den Fernsehschirm. Wichtig war jetzt, keine Angst zu zeigen. Er brach das lange, gespannte Schweigen und sagte: »Interessierst du dich für Fußball?«
»Nein«, sagte ich.
»Oh.« Er räusperte sich. »Tja É und ihr zwei lebt hier ganz allein?« In seinem starken Dubliner Dialekt klang alles, was er sagte, irgendwie bedrohlich.
»Hmm?«, sagte ich. Bedrohung hin oder her, die Hunde im Fernseher zogen mich in ihren Bann. Obwohl sie aussahen, als hätten sie seit Tagen nichts mehr zu fressen bekommen, rasten sie mit Vollgas um die Bahn. Der fröhliche kleine Elektrohase hielt sie ganz schön zum Narren. Frank wiederholte seine Frage.
»Ja, ja, im Moment nur wir beide. Und Mrs P natürlich. Vater ist vor ein paar Jahren gestorben.« Ich deutete auf das Foto an der Wand, das ihn mit dieser Westwood bei irgendeiner Modeveranstaltung in London zeigte. »Und Mutter ist in letzter Zeit nicht ganz auf dem Damm. Die Nerven. Aber sie ist zäh, jammert nie.«
»Oh«, sagte Frank. Sein Gehirn kaute das Gehörte durch, dann verzerrte sich sein Mund zu einem lüsternen Grinsen. »Wenn eure Alten nicht da sind, dann könnt ihr ja richtig auf die Kacke hauen.«
Ich verstand nicht ganz, was er damit meinte, aber es hörte sich an, als spielte er auf etwas Verderbtes an. »Was?«, sagte ich.
»Na ja, Feste und so. Partys, Remmidemmi, so was eben.«
»Oh ja, sicher.« Ich entspannte mich wieder. »Klar haben wir ab und zu eine Party. Das heißt, ich. Bel hängt meistens mit ihren öden Schauspielerfreunden rum. Wenn ich es mir recht überlege, war es in letzter Zeit ziemlich ruhig. Aber stimmt schon, manchmal ist richtig was los. Letzten April zum Beispiel, da hat eine gute Freundin von mir, Patsy Olé, die hat É Vielleicht kennst du sie? Jeder kennt PatsyÉ«
Er schaute mich ausdruckslos an.

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gal, sie ist sowieso nicht in der Stadt«, sagte ich und ärgerte mich über das leichte Zittern in meiner Stimme. »Sie ist auf großer Tour, Indien und so. Wo war ich? Ah, richtig, also die Nacht damals, ein wahres Schlachtfest. Da war dieser Typ, Pongo McGurks, der hatÉ« Ich beugte mich verschwörerisch vor. »Also, der taucht Schlag Mitternacht auf und schleppt einen ganzen Hirsch an. Geklaut, aus dem Guinness-Anwesen oben in den Bergen. Und wirÉ« Ich hörte auf zu reden. Sein verständnisloser Blick ließ mich zu dem Schluss kommen, dass es keinen Sinn hatte, die Erzählung dieser Anekdote fortzusetzen. Wir widmeten unsere Aufmerksamkeit wieder den Windhunden und deren Hatz auf die kleine unverdauliche Beute.
»Und wer ist Mrs P?«, fragte er plötzlich. »Deine Tante oder so?«

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rs P? Nein, nein. Sie ist die Haushaltshilfe. Aus Bosnien. Oder aus Serbien? Egal, eine echte Perle. Wie ich immer zu Bel sage: Wenn dieser ganze Schlamassel da unten im Balkan irgendwas Gutes hat, dann, dass man endlich wieder erstklassiges Personal bekommtÉ« Die Worte erstarben mir auf den Lippen, und erneut verlor ich mich im Blick dieser reglosen Augen, einer Art schwarzem Loch - so kam mir der Bursche vor. Ich wurde wieder unruhiger. Wo war eigentlich Bel? Was fiel ihr ein, mich der Willfährigkeit dieses Primaten zu überlassen? Wollte sie, dass man mich in Stücke riss und in den Kamin stopfte?
»Entschuldige mich bitte einen Augenblick«, sagte ich, stand auf und ging hinaus. Ich fand sie schließlich in ihrem Zimmer, wo sie mit gerunzelter Stirn vor ihrem Schuhregal stand.
»Herrgott, Charles, kein Mensch stopft dich in irgendeinen Kamin«, sagte sie. »Ich bin in einer Minute wieder unten. Ich zieh mir nur was anderes an, wenn du nichts dagegen hast?«
»Ich hab etwas dagegen«, sagte ich. »Und zwar sehr viel. Ich hab gedacht, du holst ihm nur ein bisschen Milch.«
»Charles.« Bel drehte sich um und wedelte ungeduldig mit der Haarbürste. »Kannst du dich vielleicht mal fünf Minuten lang nicht wie ein Idiot aufführen und dich einfach mit ihm unterhalten, bis ichÉ«
»Hab ich ja versucht«, sagte ich und zog den Vorhang auf. Der Wind jagte immer noch durch das hohe Gras. »Alles, was ich sageÉ als ob er es einfach runterschluckt. Sehr unangenehm. Außerdem hab ich dauernd Angst, dass er Hunger bekommt und mich mit einem Stück Roastbeef verwechselt.«
»Dann lass mich einfach in Ruhe, bis ich angezogen bin, ich bin gleich da É Apropos, was ist eigentlich mit dir? Hast du vor, dich heute noch anzuziehen? Oder haben wir inzwischen ein neues Stadium deines offenbar endlosen Niedergangs erreicht?«
»Welcher Niedergang?«, fragte ich. Barfuß stapfte sie an mir vorbei zur Kommode. »Was meinst du?«
»Ich meine Folgendes«, sagte sie, zog ein Dessous nach dem andern aus der Schublade, hielt es zur Begutachtung in die Höhe und ließ es dann auf den Boden fallen. »Dass du dich jetzt seit was weiß ich wie lange hier im Haus verrammelst und allmählichÉ«
»Allmählich was, allmählich was genau?«
»Es ist einfach so, dass ich in letzter Zeit immer öfter keinen Schimmer habe, wovon du überhaupt redest.« Sie warf einen Slip und ein Paar schieferblauer Mokassins aufs Bett. »Ich kann mich noch daran erinnern, als du dich wesentlich besser im Griff hattest.«
»So ein Quatsch«, erwiderte ich scharf. »Gestern zum Beispiel, da war ich außer Haus. Pongo McGurks geht nach London, er tritt da eine Stelle bei seinem alten Herrn an. Also sind wir zum Abschied ins Sorrento, auf ein paar GimletsÉ«

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erstehe. Das würde auch den seltsamen Traum erklären, den ich heute Morgen um vier hatte. Ihr beide beim Tanzen auf dem Rasen. Waren das Bambusröckchen, die ihr da anhattet? Bitte sag mir, dass das keine Bambusröckchen waren.« Sie öffnete den Kleiderschrank. »Egal, spielt ja keine Rolle. Ich will bloß eins, versuche dich wie ein normaler Mensch zu benehmen und sei einfach nur höflich.«
»Schon gut«, sagte ich. »Aber wenn die vom Zirkus kommen, um ihn abzuholen - ich lehne jede Verantwortung ab.«
Sie nahm ein Kleid aus dem Schrank, drehte sich zum Spiegel und schüttelte sich angriffslustig das Haar aus. »Was ist, hast du nichts Besseres zu tun, als hier rumzustehen und mich zu langweilen?«, sagte sie.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 25.02.2006