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Editorial

Die Welt
zu Gast bei
Freunden
Von Klaus Lükewille


Noch eine Woche.
Es wird Zeit. Höchste Zeit.
Schiedsrichter, pfeift endlich an. Damit der Ball nicht schon vor der Weltmeisterschaft das Land überrollt, dann platzt - und nur noch heiße Luft heraus kommt.
Die gibt's schon genug.
Seit Wochen und Monaten.
Wie im WDR-Hörfunk am Sonntag, 21. Mai. Morgens um 9 Uhr, Nachrichten. Die mit Abstand längste Meldung: die wirklich weltbewegende Nachricht, dass sich Bundestrainer Jürgen Klinsmann mit seinem WM-Kader jetzt gerade auf dem Flug von Sardinien nach Genf befinde. Dort werde dann die Vorbereitung fortgesetzt.
Der allgemeine WM-Wahn, er hat längst begonnen.
Dabei ist (fast) alles gesagt. Alles gesendet. Alles gesungen.
»Fußball ist unser Leben«, dieser alte Ball-Hit, er wurde natürlich auch noch einmal in voller Lautstärke ausgestrahlt, als der NDR vor kurzem die 50 beliebtesten Kicker-Lieder vorstellte.
Die ARD liefert die Legenden, RTL klinkte sich mit einem WM-Quiz ein, das ZDF feierte die »50 besten Fußballer« Deutschlands. Selbstverständlich war Franz Beckenbauer hier auch im »Zweiten« der Erste. Er nahm das als Studiogast ebenso erfreut wie gelassen zur Kenntnis, wunderte sich dann aber doch über einige Platzierungen bei dieser Publikums-Wahl: »Was? Der Schweinsteiger und der Podolski stehen vor alten Assen wie Rahn und Schnellinger? Das kann nicht sein. Die jungen Kerle spielen doch erst seit drei Monaten.«
Das war zwar leicht übertrieben, trotzdem rückte Beckenbauer damit die Maßstäbe wieder zurecht. Podolski vor Rahn. Schweinsteiger vor Schnellinger. Sind die Deutschen etwa jetzt schon komplett »Balla-Balla«?
Halt, ganz ruhig. Es war ja nur eine Abstimmung. Die richtige WM-Stimmung, die kommt noch. Garantiert.
Sie dürfte an diesem Pfingstwochenende auch Ostwestfalen erreichen, wenn Portugals Auswahl mit den Stars Figo, Deco und Cristiano Ronaldo in Marienfeld ihr Quartier bezieht. Das erste öffentliche Training in Gütersloh ist bereits restlos ausgebucht.
Jetzt geht's loooos.
Ja, bald. In ein paar Tagen. Endlich. Deutschland freut sich auf sein Fußball-Fest und erlebt hoffentlich erfolgreiche Auftritte der eigenen Nationalmannschaft. Wie weit kommen die Klinsmänner? Kann diese Auswahl wirklich Weltmeister werden?
Egal. Denn das Ziel ist nicht allein ihr Spiel. Viel wichtiger wird sein, ob das Motto dieser WM erfüllt werden kann: »Die Welt zu Gast bei Freunden«.
Wenn diese Einladung überall genau so in diesem Wortlaut umgesetzt wird, in den Stadien und in den Städten, das wäre der echte WM-Gewinn.
Ein bisschen träumen ist erlaubt, Klinsmann träumt ja auch vom Titel. Also, folgende Bitten: keine Krawalle, keine Ausschreitungen, keine besonderen Vorkommnisse. Das wären »Ergebnisse«, auf die der Gastgeber dann nach dem finalen Abpfiff am 9. Juli wirklich stolz sein dürfte.
Denn Deutschland hat in diesem Sommer die einmalige Chance der Selbstdarstellung. Auf dem Rasen, klar, wenn die DFB-Auswahl antritt, aber vor allem auch auf den Rängen. Da muss die Atmosphäre weltmeisterlich sein. Bei jedem Spiel. Auch bei einer Vorrunden-Partie wie Südkorea gegen Togo.
Die WM-Welle, sie sollte alle mitreißen. Viele hören sie schon.
Noch eine Woche.

Artikel vom 02.06.2006