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Krieg den Palästen. Friede den Karnickeln. Georg Büchner würde sich freuen.

Leitartikel
Abriss in Berlins Mitte

Vom Palast
bleibt nur
der Ballast


Von Bernhard Hertlein
Als die »Mauerspechte« vor 15, 16 Jahren begonnen haben, das Monument des zweigeteilten Berlins abzutragen, sind sie von allen Seiten bejubelt worden. Die Bagger aber, die jetzt den früheren »Palast der Republik« alias »Palazzo Prozzo« alias »Erichs Lampenladen« abtragen, stoßen ins Herz einer nicht klein zu kriegenden Zahl von Ostalgikern.
60 Prozent der Bewohner der ehemaligen DDR sind gegen den Abriss. Dabei waren beide -ÊBerliner Mauer und Volkskammergebäude - Überbleibsel der gleichen menschenfernen und demokratiefeindlichen Diktatur.
Sicher, im Anfang der 1970er Jahre auf Stadtschloss-Ruinen erbauten Palast wurde auch gefeiert und diniert, wurden Bowling und Theater gespielt. Doch gleichzeitig diente das Gebäude eben jenen SED-Schergen als politische Bühne, die der Bevölkerung vor 1989 jede Freiheit vorenthielten; die misstrauisch ihre Briefe lasen, die Telefonate abhörten, sie im Land festhielten, Todesschüsse an der Grenze rechtfertigten, Opponenten in Gefängnisse steckten oder zwangsweise aus der DDR entfernten. In einem Fall, bei Wolf Biermanns Ausbürgerung, rächten sie sich ausgerechnet an dem Liedermacher, der wohl den passendsten Namen für den »Volkspalast« erfand: Palazzo Prozzo.
Sicher, in dem gelben, damals noch asbestverseuchten Gebäude tagte Ende der 1980er Jahre auch das erste frei gewählte Parlament des anderen deutschen Staates. In dem gleichen Gebäude wurde der Vereinigungsvertrag beschlossen und ratifiziert. In dem selben Gebäude wurde der Tag der Einheit auf den 3. Oktober festgelegt. Aber kann all dies eines der vorangegangenen Verbrechen auslöschen?
Verantwortlich für jede Untat sind Menschen. Aber Gebäude sind Symbole - und als solche sind sie erhaltenswert oder nicht.
Zugegeben, seine schönste Zeit erlebte der Volkspalast in den letzten zwei Jahren vor dem nun beginnenden Abriss. Der Verein »Zwischen Palast Nutzung« organisierte Kunstausstellungen, veranstaltete Happenings, lud zu wilden Retro-Partys. Für den, der politisch denkt, war das zuviel der Zumutung. So lange das Baugerippe aus Glas, Beton und Stahl nur ungenutzt das Stadtbild an der Spree verschandelte, konnte man im Alltag darüber hinwegsehen. Jetzt entwickelte sich der Palast zum Ballast.
Über Architektur kann man streiten, über historische Wahrheiten nicht. Trotzdem wäre es vielleicht mehr als eine Überlegung wert gewesen, das auf 110 Millionen Euro Wert geschätzte Stahlgerippe der Volkskammer zu erhalten und in den historisierenden Neubau des Humboldt-Forums (mit der Fassade des früheren Stadtschlosses) zu integrieren. Auf dieses werden die Berliner angesichts der Kosten von einer Milliarde Euro vermutlich lange warten. Optimisten sehen den Baubeginn 2012. Bis dahin entsteht mitten in Berlin eine leere Rasenfläche -ÊBiotop für Touristen und Liebespaare. Krieg den Palästen. Friede den Karnickeln. Georg Büchner, Literat des Vormärz, würde das freuen.

Artikel vom 17.02.2006