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»Lohnerhöhungen bis
drei Prozent sinnvoll«

Heute im Gespräch: Prof. Peter Bofinger (Würzburg)

Bielefeld/Würzburg (WB). Er ist einer der fünf Weisen und trotzdem in der Zunft der Wissenschaftler eher ein Außenseiter: Peter Bofinger fordert im Gespräch mit Bernhard Hertlein mehr Investitionen in die Kaufkraft der Bürger.
Peter Bofinger (51, Universität Würzburg) ist Mitglied des Wirtschafts-Sachverständigenrates der Bundesregierung.

Institute und Verbände korrigieren ihre Konjunkturprognosen derzeit leicht nach oben. Ist das schon die Wende?Bofinger: Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung etwas besser läuft als 2005, ist die derzeitige Euphorie fehl am Platze. Die wieder gestiegenen Energiepreise bremsen ebenso die Binnen- wie die Weltkonjunktur. Letztere verliert außerdem durch die Immobilienpreisentwicklung in den USA, die ihren Höhepunkt überschritten hat, einen ihrer bisherigen Motoren. Die zwei Prozent Wachstum, die nun viele ankündigen, halte ich deshalb für übertrieben optimistisch.

Noch wird die Konjunktur vor allem vom Export getragen.Bofinger: Das ist eben das Problem unserer gespaltenen Konjunktur. Auf Dauer kann die Wirtschaft nur wachsen, wenn auch die Binnennachfrage endlich anzieht. Es ist ein Fehler der deutschen Wirtschaftspolitik, dass sie sich in den vergangenen Jahren allein am Export orientierte und die inländische Nachfrage unter die Räder kommen ließ. Unterstützt wurde diese Politik durch die sehr moderate Lohnentwicklung. Als deren Folge ist die Kaufkraft der Konsumenten noch weiter zurückgegangen.

Wie hoch müssen die Lohn- und Gehaltserhöhungen ausfallen, um den Motor der Binnenkonjunktur anzuwerfen?Bofinger: 2,5 bis drei Prozent. Um diesen Prozentsatz oder mehr erhöhen sich auch die Löhne in unseren Nachbarländern. Außerdem entspricht dieser Prozentsatz dem erzielten Produktivitätsfortschritt.

Die Arbeitgeber sagen, dass höhere Löhne und Gehälter nur zu Arbeitsplatzverlagerungen ins Ausland führen.Bofinger: Wer wegen des Lohnkostenunterschieds von drei oder vier Euro pro Stunde seine Fertigung nach Polen oder China verlagern möchte, wird sich davon auch durch ein oder zwei Prozent weniger Lohnerhöhung nicht abhalten lassen. Ich vergleiche die Situation Deutschlands gern mit der Hotelwirtschaft. Wenn dort ein Fünf-Sterne-Haus wie das Berliner »Adlon« seine Preise um zehn oder 20 Prozent senkt, wird es mitnichten Gäste an Land ziehen, die bisher in Zwei- oder Drei-Sterne-Hotels übernachtet haben und denen es vor allem darauf ankommt, ein Bett für die Nacht zu haben. Schlimmer noch: Das Fünf-Sterne-Hotel wird nicht nur keine neuen Gäste anziehen, sondern darüber hinaus Stammgäste verlieren. Man kann nicht so einfach vom Hochstandard in die Billig-Produktion umschwenken. Diesen Versuch unternimmt außer Deutschland auch kaum ein anderer Staat. Schweden nicht, Dänemark nicht, auch nicht Frankreich, Großbritannien oder die USA. Nur Japan hat es Mitte der neunziger Jahre ebenfalls mit einer extremen Lohnzurückhaltung versucht. Die Folge waren eine jahrelange Deflation und Krise.

Darf sich der Staat noch weiter verschulden, um durch zusätzliche Ausgaben die Konjunktur anzufeuern?Bofinger: Nein. Verschuldung führt nicht zum Ziel. Die finanziellen Spielräume sind jetzt schon viel zu eng. Überlegenswert wären stattdessen höhere Steuern zur Finanzierung notwendiger Investitionen in Bildung und Infrastruktur. Schon die Rücknahme des letzten Schritts der Steuerreform brächte dem Staat 4,5 bis fünf Milliarden Euro Mehreinnahmen, ohne dass der Spitzensteuersatz im Vergleich zu anderen Ländern unangemessen hoch wäre.

Artikel vom 18.02.2006