20.02.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

»Ein Energiebündnis Russlands mit den Ölländern am Golf und Venezuela erhöht den Druck auf Europa.«

Leitartikel
Nahost im Blick

Putins
neuer
Traum


Von Jürgen Liminski
Wladimir Putin hat einen Traum. Der russische Präsident träumt von den Zeiten, da Moskau im Nahen Osten eine gewichtige Rolle spielte und mit den Amerikanern eine Art Kondominium, eine Zweierherrschaft führte. Das war in den fünfziger bis in die siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.
Damals, nachdem Moskau und Washington in der Suez-Krise gemeinsam die Briten und Franzosen ausgespielt und die Israelis auf ihrem Marsch auf Kairo gestoppt hatten, lieferten die Russen jahrzehntelang Waffen an die Radikalen in der Region, päppelten die PLO diplomatisch auf, mischten insbesondere mittels kommunistischer Terrorgruppen und Geheimdienstaktivitäten mit und später auch durch Raketenlieferungen an Syrien immer wieder die nahöstliche Bühne auf. Aber zu mehr als zu einer Veto-Macht langte es nicht, sowohl im Sicherheitsrat der UNO als auch auf dem Gefechtsfeld.
An diesen Traum will Putin, der in dieser Zeit im KGB Karriere machte, anknüpfen. Seine Einladung an die Hamas ist die Fortsetzung sowjetischer Politik mit anderen Mitteln und Personen. Putin sieht heute außerdem eine reale Chance für Russland durch die sich zuspitzenden Gefahrenherde Iran und Palästina.
Alte Kontakte werden wiederbelebt und diesmal hat Putin gegenüber den Radikalen ein Argument mehr: Das Regime in Moskau ist nicht mehr per se gottesfeindlich. Es ist zwar nicht muslimisch, aber immerhin auch nicht offiziell atheistisch. Das vereinfacht die Lage. Hinzu kommt, dass Putin mit dem Energiemoloch Gasprom ein Netz über Teile der Industriestaaten legt, das durch eine Kooperation mit den Ölländern am Golf und auch mit dem sich zunehmend dem Marxismus zuwendenden Regime in Venezuela ziemlich engmaschig gestaltet werden könnte.
Ein Kooperation im Energiebereich könnte die Abhängigkeit Europas bis zur politischen Willfährigkeit erhöhen. Dieser Kooperation kann Moskau durch Avancen an Hamas näher kommen.
Dass zu einer echten Demokratie nicht nur freie Wahlen sondern auch Menschenrechte gehören und weder das Regime in Teheran noch die Hamas diesen Ansprüchen auch nur ansatzweise genügen, wird Putin nicht weiter interessieren.
Er selbst hat ein zweifelhaftes Verhältnis zu Rechtsstaat und Menschenrechten. Russland ähnelt hier mehr den Diktaturen in Nahost als den Demokratien des Westens und Moskaus Vorgehen in Tschetschenien hat mehr mit Völkermord zu tun als mit einem Krieg nach Genfer Vorschriften.
Spät haben Amerika und Europa die Volte Putins erkannt. Jetzt kommt es darauf an, gegenüber der Terrorgruppe Hamas firm zu bleiben und treu zu Israel und zu den Menschenrechten zu stehen.
Sonst ist unsere Kultur der Freiheit gefährdet. Insofern ist die Hamas-Frage nicht nur ein Prüfstein der Gemeinsamkeiten zwischen Russland und den anderen Staaten der G-8-Gruppe, sondern auch für Europa selbst.

Artikel vom 20.02.2006