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Kalaschnikows gegen Diamanten

»Lord of War« kritisiert Waffenschieberei

»Essen müssen die Leute immer«, predigte der Vater von Yuri Orlov (Nicolas Cage), als er in Brooklyn sein erstes Borschtsch-Restaurant eröffnete. Der Sohn des russischen Emigranten dagegen findet ein ganz anderes menschliches Bedürfnis lukrativer: das, mit Waffen zu hantieren.

»Jeder zwölfte Mensch auf der Welt besitzt eine Waffe. Die Frage ist: Wie kann man die anderen elf auch noch ausstatten?«, fragt Yuri gleich zu Beginn von Andrew Niccols Thriller »Händler des Todes« (im Original: »Lord of War«) in die Kamera. Dabei steht er bereits symbolträchtig auf einem Teppich aus leeren Patronenhülsen. Und so wird Yuri Orlov zum einflussreichen internationalen Waffenlieferanten für die Kriege dieser Welt.
Cage mimt den smarten Geschäftsmann mit perfekt sitzendem Anzug, lässig eine Zigarette rauchend, immer ganz kühl. Wenn er ein Geschäft wittert, ist es ihm egal, ob er mit Schurkenstaaten, grausamen Diktatoren oder abgehalfterten Sowjetmilitärs dealt. Hauptsache, der Rubel rollt. Seine Beziehungen zu seinem Onkel in der Ukraine, einem hochdekorierten Militär, öffnen ihm nach dem Ende des Kalten Krieges die Depots mit den Kalaschnikows. Die gehen im Tausch für Blutdiamanten nach Afrika - unter anderem an den wahnsinnigen selbsternannten Präsidenten von Liberia André Baptiste (Eamonn Walker) und seinem gleichermaßen verrückten Sohn André Jr. (Sammi Rotibi).
Der neuseeländische Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Niccol hat lange und gründlich recherchiert. Die Figur des Yuri Orlov basiert auf Interviews mit mindestens fünf echten Waffenschiebern. Die hat Niccol auch für seine Requisiten angepumpt: »Es war billiger, an echte Kalaschnikows zu kommen, als falsche zu organisieren«, erklärte Niccol vor Diplomaten der UNO in New York. Die Reihe von 50 Panzern, die in einer Szene zu sehen sind, stellte ihm ein Waffenschieber aus Prag zur Verfügung. »Der hatte mehr als die tschechische Armee«, sagt Niccol.
Zu viel Authentizität tut jedoch dem Drehbuch nicht unbedingt gut. Obwohl Niccol viele schillernde Figuren mit hochklassigen Schauspielern zur Seite stehen - die Model-Ehefrau Ava (Bridget Moynahan), der gutherzige, aber kokainabhängige Bruder Vitali (Jared Leto) und der Gegenspieler und Interpol- Agent Valentine (Ethan Hawke) -, wahrt man als Zuschauer seltsamerweise Distanz zur Geschichte.
Der Spagat zwischen dem hochbrisanten Thema der internationalen Waffenschieberei und dem sarkastischen Porträt des Yuri Orlov als einer seiner wichtigsten Akteure ist im Ansatz eine gute Idee, cineastisch jedoch nicht so recht geglückt.

Artikel vom 16.02.2006