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Kämpferischer Sprachkünstler

Vor 150 Jahren starb der Dichter und Journalist Heinrich Heine in Paris

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). Wenn Heinrich Heine nur das »Buch der Lieder« (1827) hinterlassen hätte, wäre er zum Liebling des deutschen Bürgertums geworden. Gedichte wie das über die Lorelei sind schön und harmlos zugleich. Aber Heine, der am Freitag vor 150 Jahren starb, wollte mehr als nur wohlklingende Literatur schaffen. Er wollte der Stachel im Fleisch despotischer Fürsten, religiöser Eiferer und bornierter Bürokraten sein.
1831 malte Moritz Oppenheim den Schriftsteller Heine. Foto: dpa
Der Sohn des jüdischen Kaufmanns Samson Heine aus Düsseldorf absolvierte eine Banklehre in Frankfurt, studierte Jura in Bonn, Göttingen und Berlin, aber seine wahre Berufung fand er in der Literatur. Heine habe »die Fähigkeit zur griffigen Formulierung« ausgezeichnet, betont der Germanist der Universität Paderborn Hartmut Steinecke. Jeder Satz ein Treffer, so wie dieser: »Wer sich mit Hunden niederlegt, steht mit Flöhen auf.«
Viele Pfeile aus seinem Köcher schoss Heine auf die Despoten in den deutschen Kleinstaaten ab, die nach dem Wiener Kongress von 1815 versuchten, die Uhr zurückzudrehen und die Ideale der Französischen Revolution - Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit -ĂŠeinzusperren. Heine schrieb gleichermaßen zupackend wie ironisch und witzig. Sein Gedicht »Die schlesischen Weber« (1844) wurde als Flugblatt eingesetzt. Kein Wunder bei mitreißenden Zeilen wie diesen: »Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht, wir weben emsig Tag und Nacht. Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch, wir weben hinein den dreifachen Fluch - wir weben, wir weben!«
Sein Kampf gegen Deutschtümelei, Militarismus und orthodoxe Religion sorgte dafür, dass seine Schriften 1835 verboten und 1933 von den Nazis verbrannt wurden. Erst in den letzten 20 Jahren habe sich das Verhältnis der Deutschen zu Heine zum Positiven gewandelt, weiß Literaturwissenschaftler Steinecke: »Bis dahin zielten laute und hässliche Angriffe auf den Gegner Preußens, den Vaterlandslosen aus Paris und auf seine jüdische Herkunft.« 1831 zog Heine nach Paris, ins »Neue Jerusalem«, wo die Religion der Freiheit zuhause sei. Mit Ludwig Börne prägte er den politischen Journalismus und bemühte sich, in Berichten und Analysen (»Französische Zustände« und »Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland«) über Leben, Politik und Kultur in den beiden Nachbarländern aufzuklären.
Im Gegensatz zu Börne, der für den »Tageskampf« auf Gedichte und Romane verzichtete, wollte Heine seinen dichterischen Anspruch nicht aufgeben. Auch wenn er Goethes unpolitische Haltung verachtete, bewunderte er die poetische Eleganz des Alten aus Weimar. »Heine verstand sich als deutscher Dichter, seine Kritik an Deutschland erwuchs aus der Liebe zu diesem Land«, weiß Germanist Steinecke. Seine Gegner hätten das bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht verstanden. Geliebt hat das Bürgertum nur das »Buch der Lieder«, von dem Heine selbst noch 16 Auflagen erlebte, ein Werk, das den Großteil der 8000 Vertonungen von Heine-Gedichten nach sich zog. Romantik mögen die Deutschen eben mehr als Revolution.
Im Revolutionsjahr 1848 bricht der an Rückenmarksschwindsucht leidende Heine bei einem Besuch des Louvre zusammen und wird von seiner Frau Mathilde in der »Matratzengruft« acht Jahre lang gepflegt. Die späten Gedichte, die 1851 unter dem Titel »Romanzero« erscheinen, beschreiben die Sehnsucht nach Liebe und befassen sich mit Leben und Tod. Im Nachwort sagt der Dichter seinen Lesern Adieu: »Ihr werdet eines Morgens die Bude geschlossen finden, wo euch die Puppenspiele meines Humors so oft ergötzten.« Heine stirbt am 17. Februar 1856 mit 58 Jahren. Seite 4: Leitartikel

Artikel vom 15.02.2006