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Die Bayern reden sich stärker

Vor dem Duell gegen den AC Mailand: Sorgen um Torwart Oliver Kahn

Von Klaus Lükewille
Hannover (WB). Im hohen Norden, da weht dem FC Bayern München in dieser Saison eine steife Brise entgegen. Hier haben sie in Hamburg ihre bisher einzige »Pleite« erlebt. Jetzt drohte gegen Hannover lange Zeit die zweite Niederlage. Es durfte gezittert werden.

Und Trainer Felix Magath hatte deshalb auch nach dem Abpfiff sogar in der beheizten Mixed-Zone immer noch seinen dicken Schal doppelt um den Hals geschlagen.
Die Großwetterlage des deutschen Rekordmeister nach dem 1:1 gegen Hannover 96: Die »Bayern-Frösche« erkennen wieder ein deutliches Hoch. Magath sprach hinterher sogar von einem »tollen Spiel«. Auch Manager Uli Hoeneß feierte die Mannschaft: »Wir sind sehr engagiert aufgetreten.«
Die Wahrheit: Die Partie war nicht »doll« und schon gar nicht »toll«. Die Exklusiv-Meinungen von Magath und Hoeneß dienten nur einem Zweck: Die Bayern wollen sich vor dem so wichtigen Champions League-Heimspiel Dienstag gegen den AC Mailand (20.45 Uhr/Sat.1) stärker reden, als sie zurzeit sind.
Denn das ist die Rasen-Realität: Im Jahr 2006 hat der souveräne Spitzenreiter noch keine erstklassige Vorstellung abgeliefert. Aber Hoeneß wertete die 90 Minuten von Hannover als wichtigen Schritt nach vorn: »Ich bin jetzt beruhigter als vor einer Woche.«
Und Magath blickt ebenfalls zuversichtlich dem Duell mit Milan entgegen: »Ich bin optimistischer geworden.« Aussagen, deren Untertöne aber deutlich belegen: So ganz überzeugt sind die Verantwortlichen von ihrer Mannschaft nicht. Denn den Liga-Alltag machte sie sich ziemlich leicht. Sie tut nur so viel, dass es gerade reicht. In Hannover musste der Favorit nach dem Führungstreffer von Thomas Brdaric (56.) allerdings einen Gang hochschalten. Nein, verlieren wollten sie hier nicht. »Deshalb haben wir in der Schlussphase mächtig Druck gemacht«, sagte Philipp Lahm, »wir sind dann ja belohnt worden.«
Michael Ballack war wieder einmal der Mann des späten und wichtigen Tores. In der 89. Minute köpfte er trotz Dreifach-Bewachung die Flanke von Willy Sagnol ins Netz und stellte fest: »Ich glaube, das Ergebnis geht in Ordnung.«
Sicher, aber trotzdem stimmt beim FC Bayern noch längst nicht alles. Erst als Routinier Mehmet Scholl nach einer Stunde kam, wurden die Angriffsversuche gefährlicher. Der ebenfalls eingewechselte Bastian Schweinsteiger bot wenig. Sebastian Deisler, ein weiterer aktueller WM-Kandidat, konnte gar nichts Konstruktives beitragen. Er war in Hannover erst nur Reservist, dann Tourist.
In der Abwehr fehlte Lucio, der nach der Brasilien-Reise geschont wurde. Der müde Weltmeister wird morgen aber garantiert wieder hellwach sein, wenn es gegen Milan geht. Ob dann Oliver Kahn den Kasten hütet, ist noch nicht sicher. Nach einem Zusammenprall mit Brdaric humpelte die Nummer 1 vom Platz. Die Diagnose: Schwere Prellung im rechten Oberschenkel, selbst Aquajogging war gestern noch nicht möglich. Kahn wurde mit Lymphdrainagen und Strom behandelt.
»Unter Strom« stand der Torwart aber nicht. Dass ihn ausgerechnet sein »Lieblingsgegner« Brdaric erwischte, dem er ja vor Jahren sogar schon einmal an die Gurgel gegangen war, steckte er lächelnd weg: »Das war ein ganz normales Duell, dabei bin ich ausgerutscht. Wir sind doch nicht beim Eiskunstlaufen.«
Ob mit oder ohne Kahn: Ein »Schaulaufen« sollen dagegen die nächsten 90 Minuten werden. Milan kommt. Der Manager ist beruhigt. Der Trainer sogar optimistisch. Und die Mannschaft zuversichtlich. Was soll da schief gehen? Typisch Bayern. Auch wenn sie nicht so stark aufgetreten sind, starke Wort finden sie immer.

Artikel vom 20.02.2006