14.02.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Nach der Wärmekur
ins Restaurator-Atelier

Schildesche: Spätgotischer Schnitzaltar demontiert

Von Elke Wemhöner
und Bernhard Pierel (Fotos)
Schildesche (WB ). Die Holzrahmen von Mittelteil und den zwei Seitenflügeln auf einem Transportgerüst festgezurrt, die Reliefs gut verpackt - so ging gestern der spätgotische Schnitzaltar aus der Stiftskirche auf die Reise. Bevor die Restauratoren in Paderborn ans Werk gehen, müssen erst die Restaurierungstechniker in Lippstadt die Holzschädlinge behandeln.

Die 18 Reliefs aus den Kassetten und die Einzelteile des großen Mittelreliefs waren schon in der vergangenen Woche katalogisiert und herausgenommen worden, gestern morgen ging es an die komplette Demontage des vierteiligen Altars. Vierteilig deshalb, weil neben dem Mittelteil und den beiden Flügeln auch der »Unterbau«, die Pedrella, zu der 500 Jahre alten Kostbartkeit gehört. Alles wurde - gut gesichert und gepolstert - stehend transportiert. Brigitte Vöhringer (Diplom-Restauratorin vom Westfälischen Amt für Denkmalpflege in Münster): »Stehend deshalb, weil sich sonst Farbschichten lösen könnten. Auch geringe Erschütterungen wirken sich verheerend aus.«
Deshalb legten ihre Kolleginnen vom Restauratorenteam Böddeker und Schlichting bereits vor dem Transport vorsichtig Hand an und sicherten gefährdete Stellen mit Japanpapier und einer Zellulose-Flüssigkeit. Das Papier lässt sich später leicht wieder lösen, die Flüssigkeit dringt in die Farbschichten ein und bindet sie.
Die beiden Altarflügel waren vergangene Woche mit einer Stützvorrichtung gesichert worden und konnten gestern recht leicht aus ihrer Verankerung gehoben werden. Für die Demontage des Mittelteils war die Muskelkraft vor sechs Helfern notwendig, um den Eichenholz-Rahmen vom Altar-Tisch, der Mensa, herunter zu heben und auf das eigens gebaute Transportgestell zu platzieren. Christoph Diers, Restaurierungstechniker von der Firma IRT (Innovative Restaurierungs-Technik, Lippstadt) überprüfte die Polsterung und zog eigenhändig die Spanngute fest.
In seiner Werkstatt wird der gesamte Altar in einer Klima-Zelle einer Wärme-Behandlung unterzogen, bei der die Schädlingslarven absterben. Wärme reicht dafür aus, Gift und Gas sind tabu. Allerdings, macht Diers deutlich, müsse man auf die Feuchtigkeit in Holz und in Luft achten, um ein unkontrolliertes Arbeiten des Holzes zu vermeiden. Vier Tage, schätzt der Fachmann, werde der Aufenthalt in der Klima-Zelle dauern. Ist dieser Arbeitsgang abgeschlossen, geht der kunsthistorische Schatz Schildesches auf die Reise nach Paderborn. Das Restauratorenteam Böddeker und Schlichtung bearbeitet dort den »Patienten« und wird sich sofort an die Arbeit machen. Erster Schritt ist hier die Säuberung der Holzrahmen und Reliefs, um die Schäden ganz genau sehen zu können. Und dann beginnt die Sicherung der noch vorhandenen Figuren und deren Farben. Während dieser Arbeitsphase befinden sich die Paderborner Fachleute in ständigem Austausch mit den Fachleuten von der Denkmalspflege. Denn bei schwierigen Sachlagen gilt es abzuwägen: lediglich Vorhandenes sichern oder sogar nacharbeiten.
Wer erwartet, dass nach abgeschlossener Restaurierung ein farbenprächtiger Altar in die Schildescher Stiftskirche zurückkehren wird, muss schon jetzt enttäuscht werden. Eine Ausbesserung wird es nur bedingt, eine Erneuerung der Farben wahrscheinlich gar nicht geben. »Aber der Betrachter wird den Eindruck haben, dass alles wieder reiner und klarer hervortritt«, beruhigt Restaurator Jürgen Böddeker enttäuscht Kunstliebhaber,
Die Demontage ist für die Fachleute keine Zeit des müßigen Zuschauens. Sie können schon vor Ort die verdeckten Seiten einer Sichtprüfung unterziehen und wichtige Fakten für die Analyse gewinnen. Für die Zuschauer - vom Kirchenkreis, von der Gemeinde und vom Heimatverein - gibt es Gelegenheit, viele interessante Hinweise zu bekommen, die den kunsthistorisch bedeutenden Altar in einem neuen Licht erscheinen lassen. Und Brigitte Vöhringer nutzt auch die Gelegenheit, auf die Auswirkungen von ständigem Heizen alter Kirchenräume hinzuweisen. »Was für die Gemeinde angenehm ist, kann am Altar schwere Schäden verursachen.« Denn Heizungswärme wirbelt nicht nur jede Menge Staub auf, sondern bewirkt auch eine Ausdehnung des Holzes und setzt damit das aufgebrachte Bindemittel und die Farbschichten unter Spannung. Kühlt die Kirche dann wieder aus, zieht sich das Holz zusammen - und die unter Spannung stehende Farbschicht wird wieder einer Belastung ausgesetzt. So ist die jetzt anstehende Restaurierung als Sicherung des Bestehenden zu sehen. Für die Zukunft heißt es weiterhin: Behutsamkeit im Umgang mit solchen Kunstschätzen ist oberstes Gebot.

Artikel vom 14.02.2006