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Tierisch ernst: »Ritter Friedrich«
schreibt bei Sekretärin ab

Bielefelder Satire über Deutschlands Zukunft beschert Politiker Merz Ärger

Von Uwe Koch
Bielefeld/Aachen (WB). »Mecklenburg-Vorpommern als Atomtestgelände an die USA verkauft«, »Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt zum Nulltarif an Polen abgetreten« - dieser fiktive Nonsens stammt nicht aus der Feder eines Comedians, ausgedacht hat sich das die Bielefelder Sekretärin Monika Rieboldt. Weil Friedrich Merz ihren Text Samstagabend in Aachen abkupferte, spricht die Verfasserin von »Ideenklau«.

Nach der Verleihung des »Ordens wider den tierischen Ernst« droht Merz nun juristisches Ungemach und möglicherweise sogar ein Urheberrechtsprozeß.
Monika Rieboldt ist seit 27 Jahren in der Fakultät für Linguistik der Universität Bielefelder angestellt. In diesem sprachlichen Elfenbeinturm hat sie sich einen Hang zum Skurrilen erhalten: »Ich habe ein Faible für Satire, Liebesromane sind nicht mein Ding«, sagte die Frau aus Bielefeld gestern. Im Jahr 2000 hatte Monika Rieboldt als Autorin »Mona« erste Beiträge für das Webportal »ZYN« geschrieben. »ZYN«, das ist ein Zusammenschluss freier Autoren, nach eigenem Selbstverständnis bestenfalls ein Satiremagazin und »kein basisdemokratisches Festkommitee«.
Für »ZYN« lief »Mona« vor drei Jahren zu sprachlicher Hochform auf, ließ den ehemaligen Siemens-Chef Heinrich von Pierer im Jahr 2009 ein - zumindest für Friedrich Merz folgenschweres - Interview als fiktiver Kanzler der Bundesrepublik Deutschland geben. »Wie ein Manager Deutschland aus der Krise holte« beschreibt drastisch, eben satirisch überhöht, ein Elf-Punkte-Programm. Es hätten sich »Thüringen und Sachsen als sanierungsfähig erwiesen, die haben wir behalten. Für Mecklenburg-Vorpommern konnten wir nichts mehr tun, Totalverlust.« - Samstagabend, zur besten närrischen Sendezeit, schlüpfen eben diese Worte auch »Ritter« Friedrich Merz aus dem Mund - wie peinlich.
Monika Sieboldt erfuhr tags darauf von dem Plagiat und »fand das schon sehr eigenartig von Herrn Merz«. Nein, die Sendung der Ordensverleihung durch den Aachener Karneval-Verein habe sie sich nicht angesehen, sie hätte ohnehin nur gehört, was sie vor Jahren schon zu Papier gebracht hatte.
Zwar fühle sie sich »geehrt, von einem Politiker kopiert zu werden«, aber die freche Übernahme ihres Textes ging für die Bielefelder Sekretärin dann doch zu weit. »Geistiger Diebstahl« sei das. Völlig humorlos beauftragte sie ihren Bielefelder Rechtsanwalt Henning Hamann mit der Wahrnehmung ihrer Interessen.
Friedrich Merz indes hatte blitzschnell, wenn auch lauwarm reagiert: »In einer Rede ist doch nie alles neu.« Der in Berlin niedergelassene Rechtsanwalt baute offensichtlich möglichen juristischen Folgen vor.
Den Text habe er vor Monaten während des Bundestagswahlkampfes zugesandt bekommen. Anonym, in Form einer E-Mail. Einige dieser Gedanken habe er übernommen, gab Merz angesichts des tierischen Ernstes der Lage zu. Dass dieser Text bereits veröffentlicht worden sei, das habe er nun wirklich nicht gewusst. Sofern sich jemand durch seine Rede »beschwert fühlt«, so bedauere er dies. »Vielleicht bringen wir alle zusammen den Humor auf und lassen uns die Freude an der gut gelungenen Festsitzung in Aachen nicht nehmen«, meinte »Ritter Friedrich« hoffnungsfroh.
So glimpflich wirds für den Juristen aus dem Sauerland wohl kaum abgehen, sein Kollege Henning Hamann aus Bielefeld kündigte gestern eine konkrete Prüfung der Sach- und Rechtslage an. »Merz hat wesentliche Teile des Textes meiner Mandantin übernommen«, sagte Hamann, »wir werden den Fall auf eine Urheberrechtsverletzung untersuchen.«
Auch Merz wird wissen, dass sein Verschulden sowohl auf Fahrlässigkeit als auch auf Vorsatz beruhen kann. Henning Hamann ließ gestern keinen Zweifel daran: »Der Beweis dafür wird so schwer nicht zu führen sein.« Über die Konsequenzen will er mit seinem Berliner Kollegen Friedrich Merz heute sprechen.
Ob es dann zu einer stillschweigenden Einigung der Satirikerin Rieboldt und des Plagiatsverdächtigen Merz kommt, steht ebenso dahin wie eine juristische Abrechnung im Form einer Zivilklage vor einer Kammer des Landgerichts Bielefeld. Den Schaden hat Friedich Merz jetzt schon, für den Spott sorgen andere.
Wie wird Heinrich von Pierer (laut Monika Rieboldt) doch im Jahr 2009 über Politiker orakeln:  »Seitdem wir Gebühren für die Anwesenheit (von solchen Entertainern bei Vereinsfesten und Einweihungen) nehmen, kommt Geld in die Staatskasse und die Terminflut für Politiker nimmt ab, so dass sie endlich wieder in ihren Büros arbeiten können, statt bei irgendwelchen Karnickelzüchtern Grußworte zu sprechen.«

Artikel vom 14.02.2006