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Gespräche, die Leben retten

Arzt berät mit Hinterbliebenen das Thema Organspende

Von Christian Althoff
Bielefeld (WB). Um diesen Job beneidet ihn niemand: In der Stunde des Todes sucht Dr. Georg Braun (45) das Gespräch mit Hinterbliebenen, um mit ihnen die Möglichkeit einer Organspende zu erörtern. Eine Aufgabe, die Leben rettet, die dem Arzt aber auch oft an die Nieren geht, wie er sagt.

Evangelisches Krankenhaus Bielefeld, Klinik für Anästhesiologie, Intensiv-, Notfallmedizin und Schmerztherapie. 1700 schwerstverletzte Menschen sind hier im vergangenen Jahr behandelt worden, 300 von ihnen mit Hirnschädigungen. Lebensgefährlich verletzte Unfallopfer aus ganz Nordrhein-Westfalen sind es zumeist, die hier versorgt werden.
Etwa dreimal im Monat stellen die Ärzte bei Patienten, deren Organe noch funktionieren, den Hirntod fest. »Das Leben ist dann zu Ende. Auch wenn wir den Kreislauf mit Geräten noch ein paar Tage aufrecht erhalten können«, erklärt Oberarzt Dr. Braun.
Für viele Hinterbliebene komme der Tod aber nicht aus heiterem Himmel, sagt der Intensivmediziner. »Wir suchen von Anfang an ein enges Verhältnis zu den Angehörigen unserer Patienten und sind offen und ehrlich. Sie wissen, dass alle in unserem Haus Tag und Nacht um das Leben des Schwerverletzten kämpfen. Aber sie wissen eben auch, dass wir nicht jeden Kampf gewinnen können.«
Ist der Hirntod festgestellt, zieht sich Georg Braun mit den Hinterbliebenen in sein Arztzimmer zurück - zu einem Gespräch, das meist mehr als eine Stunde dauert. Die Gespräche mit weinenden, trauernden Menschen seien nicht einfach, sagt er, aber die Alternative sei, sich aus der Verantwortung zu stehlen. »Und das wollen wir nicht.«
Nur ganz selten kämen Hinterbliebene von sich aus auf das Thema Organspende, sagt der Arzt. »Meist mache ich den Anfang. Das Problem ist, dass in Deutschland nur fünf Prozent der Menschen ihre Bereitschaft zur Organspende schriftlich niedergelegt haben. In den übrigen Fällen wissen die Hinterbliebenen oft nicht mit Sicherheit, was der Wille des Verstorbenen war. Und manche haben dann Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen.«
So sehr Georg Braun auch selbst von der Notwendigkeit der Organspende überzeugt istÊ- Ziel seiner Hinterbliebenen-Gespräche ist es nicht, möglichst viele Familien mit sanftem Druck zu einer Zustimmung zu bewegen. »Ich respektiere ein Nein ebenso wie ein Ja«, sagt er und betont, dass es sich ja um eine freiwillige Entscheidung, eben eine Spende, handele, und es sich verbiete, einem Spender etwas vorzuschreiben. »Die Familie des Toten muss den Rest ihres Lebens mit ihrer Entscheidung leben können. Und manche kommen eben mit dem Gedanken nicht zurecht, einen geliebten Menschen ohne Organe zu bestatten.« Andere beschränkten ihre Zustimmung auf Niere, Leber und Bauchspeicheldrüse: »Sie möchten dem Toten das Herz nicht nehmen - das Organ mit der zweifellos höchsten Emotionalität.«
Doch auch das Gegenteil hat der Arzt schon erlebt: »Eine Frau, deren Mann verstorben war und die sich zuvor nie mit dem Thema Organspende befasst hat, hatte schließlich ihre Zustimmung gegeben. Drei Monate später schrieb sie mir, dass sie glücklich über ihre Entscheidung sei, weil ihr Mann bestimmt genau das gewollt habe.« Die Frau hatte zuvor ein Dankesschreiben der »Deutschen Stiftung Organtransplantation« bekommen, in dem ihr mitgeteilt worden war, wie viele Menschen durch diese spezielle Organspende gerettet werden konnten.
Familien, in denen noch nie über Organtransplantationen gesprochen worden ist, machen sich ihre Entscheidung nicht leicht. »Manchmal benötigen sie Tage, um zu einem Ergebnis zu kommen, oder sie bitten um ein weiteres Gespräch, zu dem sie einen Pfarrer mitbringen«, erzählt Georg Braun. Auf Wunsch nähmen auch ein Seelsorger und ein Ethiker an den Beratungen teil. Nicht immer gelinge es dann, den Kreislauf des Verstorbenen so lange aufrecht zu erhalten, um die Organe zu retten: »Es kommt vor, dass die Hinterbliebenen schließlich Ja sagen, aber die Organe nicht mehr verwendet werden können.« So hätten Eltern eines 18 Jahre alten Unfallopfers kürzlich einer Organentnahme zugestimmt, die aber aus medizinischen Gründen nicht mehr möglich gewesen sei.
Die Bemühungen des Ev. Krankenhauses, anhand eines exakt festgelegten Ablaufplanes Organspender zu gewinnen, waren im vergangenen Jahr elf Mal erfolgreich. Dr. Braun bezeichnet das Engagement als einen Akt christlicher Nächstenliebe. Denn das Krankenhaus selbst profitiert von einer Organspende nicht - im Gegenteil: »Ein Spender bindet Zeit und Personal. Die Organe werden in unserem Haus entnommen und kommen dann todkranken Patienten irgendwo in Europa zugute«, erklärt Braun, der mit seinen Hinterbliebenen-Gesprächen zwar indirekt schon manches Leben gerettet, aber noch nie einen »seiner« Organempfänger kennengelernt hat. »Das ist schade, denn es würde mich für manches belastende Gespräch entschädigen, das ich mit Angehörigen führe. Und das mich manchmal bis in den Schlaf verfolgt.«

Artikel vom 18.02.2006