18.02.2006 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Der Buddhismus kam auf
weißem Pferd nach China
Luoyang ist heute eine Industriestadt, hat aber ein schönes Umland
Oma Yang ist 95 und zeit ihres Lebens nicht aus Luoyang herausgekommen. Die Bäuerin aus einem Vorort hat dennoch nie Langeweile empfunden.
Zwar hat sie nie die Schule besucht und kann weder lesen noch schreiben, doch als junges Mädchen wurde sie verheiratet, bekam vier Söhne (die drei Töchter zählt sie nicht) und erlebte von der Republikgründung über die Kulturrevolution bis hin zu Chinas Aufbruch in die Moderne ein wahrlich stürmisches Jahrhundert. Sie kennt Luoyang noch, als die ganze Stadt aussah wie die eine pittoreske Altstadtgasse, die die gnadenlose Modernisierungswut überlebt hat.
Vielleicht ist ihr Kontinuität deshalb wichtig, weshalb sie seit nunmehr 70 Jahren in einer Höhlenwohnung lebt. Solche Domizile waren früher auf der chinesischen Löss-Ebene am Gelben Fluss gang und gäbe. Im Winter sind sie nicht sonderlich kalt, im Sommer angenehm kühl. Oma Yang spricht mit fester Stimme, ihre wachen Augen verfolgen die Fliegen, denen sie mit einer Patsche nach dem Leben trachtet, als sie erzählt, wie ihr als junges Mädchen noch nach altchinesischer Tradition die Füße gebunden wurden, damit sie möglichst zierlich blieben.
Fährt man in die Stadt hinein, so wirkt Luoyang wie eine Mischung aus Gelsenkirchen und Eisenhüttenstadt. Schwerindustrie prägt die 1,3 Millionen Einwohner zählende Metropole. Asiens größte Fabrik für Fensterglas ist dort ebenso ansässig wie das 40 000 Arbeiter zählende Kombinat für Traktoren- und Lkw-Bau. Trist wirkt der sechs Kilometer lange Boulevard, der die langgezogene Stadt wie ein überdimensionales Straßendorf wirken lässt.
Luoyang hat chinesische Geschichte geschrieben: Von 770 v.C. an war es für 934 Jahre die Hauptstadt von neun Dynastien. In dieser Zeit herrschte auch der Kaiser Wu, der als Begründer der Seidenstraße, dem Handelsweg gen Westen, gilt. Er schickte Delegationen nach Baktrien, dem heutigen Afghanistan. Dort lebte seinerzeit das Kushan-Volk, welches bereits den Buddhismus kannte. Gesandte dieses Volkes haben vermutlich die neue Religion ins Reich der Mitte getragen. Aber erst der Kaiser Ming ließ gezielt Kundschafter reisen, die die Hintergründe des Buddhismus ergründen sollten. Sie kamen mit Schriftrollen und einem Bildnis des Buddhas Shakyamuni zurück, angeblich auf weißen Pferden - und wo diese sich niederließen, wurde für die neuen Heiligtümer ein Tempel errichtet. Er heißt bis heute »Tempel des Weißen Pferdes«, und von dort aus verbreitete sich der Buddhismus schließlich bis nach Südostasien. Die heutigen Gebäude stammen aus der vorletzten chinesischen Kaiserdynastie, während die beiden weißen Pferdeskulpturen vor dem Eingang der Song-Zeit zugeschrieben werden.
Die weitläufige Tempelanlage wird von Abt Yin Le geführt. Der junge Mann mit dem gewinnenden Lächeln wurde von den Mönchen des Klosters in sein Amt gewählt. Er ist nicht nur die geistliche Autorität, sondern führt auch die weltlichen Geschäfte des Klosters, welches Touristen aus aller Welt anzieht. Anders als die christlichen Kardinäle nimmt er allerdings nicht am gesellschaftlichen Leben der Stadt Luoyang teil. Regelmäßig empfängt er aber Delegationen aus Politik, Wirtschaft und sogar dem Militär. Als Abt des wichtigsten buddhistischen Klosters in China muss er nicht befürchten, von den Mühlsteinen des chinesischen Sozialismus zermahlen zu werden.
Eine weitere buddhistische Sehenswürdigkeit in Luoyang sind die Longmen-Grotten, die - obwohl durch Plünderer schwer geschädigt - zum Weltkulturerbe zählen. Wo der Yi-Fluss einen schmalen Gebirgszug durchschneidet, säumen Höhlen mit Tausenden von Buddhastatuen den Wasserweg. Manche sind nur wenige Zentimeter groß, der größte misst immerhin 17 Meter und wird von grimmig dreinblickenden Wächterfiguren flankiert. Zahlreiche Buddhas wurden von Antiquitätensammlern aus den Grotten herausgemeißelt. Nicht einmal während der Kulturrevolution gab es eine solche Barbarei - seinerzeit sorgte Zhu Enlai per Dekret dafür, dass das Heiligtum unangetastet blieb. Wenn man nur die Grotten an einer Seite des Flusses besucht, so kann man mit dem Boot auf dem Fluss zum Eingang zurückfahren.
Ein mehrtägiger Aufenthalt, wie ihn Gruppen des Münchener Veranstalters Studiosus im Rahmen von dreieinhalbwöchigen Chinareisen erleben, schließt zusätzlich noch einen Besuch im einzigen chinesischen Museum für Begräbniskultur ein.
Thomas Albertsen

Artikel vom 18.02.2006