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»Mein Kindheitstraum
ist wahr geworden«

Nordische Kombination: Georg Hettich - der Goldjunge

Turin (dpa). Als Georg Hettich nach einer langen Party-Nacht aufwachte, ging der erste Griff zum Olympia-Gold. »Ich musste erst einmal nachschauen, ob die Medaille noch da ist. Dann habe ich gedacht, okay, es ist kein Traum«, erzählte der Olympiasieger in der Nordischen Kombination am Tag nach seinem sensationellen Triumph.

Gelegenheit, in Ruhe den bislang wichtigsten Tag in seinem Sportlerleben Revue passieren zu lassen, hatte er bis dahin nicht gefunden. Über 100 Telefonanrufe in Abwesenheit blieben ebenso unbeantwortet wie der randvolle SMS-Speicher seines Handys.
Immer wieder musste Hettich berichten, wie er in der Einzel- Entscheidung die Favoriten um den mit Silber dekorierten Felix Gottwald (Österreich) und Bronzemedaillengewinner Magnus Moan (Norwegen) düpiert hatte. »Mein Kindheitstraum ist wahr geworden. Jetzt genieße ich den Augenblick«, sagte er beim Interview-Marathon. Erst spät fand er die Zeit, im Deutschen Haus auf den Erfolg anzustoßen. »Wir haben an der Energiebar aufgetankt«, berichtete er später lächelnd.
Mit dem ersten Sieg seiner Karriere hatte der 27-Jährige am ersten Wettkampftag der Winterspiele die Fachwelt in Erstaunen versetzt und Deutschland den ersten Kombinierer-Olympiasieg seit Ulrich Wehling 1980 beschert.
Schon nach dem Springen auf der Normalschanze in Pragelato hatte Hettich in Führung gelegen. Dass der bekannt gute Springer vom SC Schonach-Rohrhardsberg die Favoriten in der Loipe in Schach halten und diese am Ende bezwingen konnte, überraschte dann sogar Bundestrainer Hermann Weinbuch: »Ich hatte auf eine Medaille gehofft, aber nicht daran geglaubt.«
Der Tag seines Lebens hatte für Hettich schon gut begonnen. »Ich hatte so gut geschlafen wie in der gesamten Woche nicht«, erzählte der Medizintechnik-Student. Beim Springen beherzigte er Weinbuchs Anweisungen, schaffte beim 104-m-Satz im 2. Durchgang einen seiner besten Sprünge überhaupt und ließ sich auch in der Zeit zwischen Springen und Langlauf nicht aus der Ruhe bringen.
Als 1,2 Kilometer vor dem Ziel die Attacke des Österreichers Felix Gottwald kam, hatte der Deutsche noch Kraftreserven zum Kontern. »Ich war plötzlich mit Felix allein und da wusste ich, jetzt hast du eine Medaille. Mir war jeder Platz lieb, ich wollte nur nicht wieder Vierter sein«, berichtete Hettich über seine Gedanken in den Sekunden der Entscheidung.
Der ruhige und besonnen auftretende Schonacher, der in Freiburg in einer Wohngemeinschaft lebt und bei Rolf Rombach im Breisgau sowie in Hinterzarten trainiert, galt bei Weinbuch als »schlafender Riese«. »Die letzte Entschlossenheit fehlte ihm immer, er gab sich schnell mit Platzierungen zufrieden. Das habe ich ihm zuletzt immer und immer wieder ganz deutlich gemacht«, sagte Weinbuch.
Trotz des Erfolges glaubt Hettich nicht, dass nun die Sponsoren Schlange stehen. »Ich kann mit dem leben, was ich bekomme. Zumindest reicht es, die Studiengebühren zu zahlen.« Vom Skiverband kassiert er für den Olympiasieg immerhin 25 000 Euro, von der Deutschen Sporthilfe kommen noch einmal 15 000 Euro hinzu.

Artikel vom 13.02.2006