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Flucht in Frauenkleidern

79-jähriger Buchautor schreibt über Kriegsgefangenschaft

Von Stefanie Hennigs
Versmold (WB). Ein Soldat, der aus französischer Kriegsgefangenschaft zu Fuß über die Alpen flüchtet, mit Perücke und Frauenkleidung getarnt als »Mademoiselle«: eine Story, die aus einem Hollywood-Film stammen könnte. Für Hans J. Wiltmann (79) ist es die Geschichte seines Lebens.

Die unglaubliche Geschichte seiner Flucht, die ihn aus einem Ort in der Nähe von Marseille über die Seealpen bis nach Italien führte, hat der gebürtig aus Versmold-Peckeloh (Kreis Gütersloh) stammende Wiltmann fast 60 Jahre später in einem Buch aufgeschrieben. Auf 137 Seiten, die er jetzt veröffentlichen möchte, beschreibt er die abenteuerlichen, strapaziösen und zum Teil lebensgefährlichen neun Tage, die ihm den Weg in die Freiheit ermöglichten. »Ich wollte damals nur nach Hause zu meinen Eltern.«
Diese hat er damals schon lange nicht mehr gesehen. Denn Wiltmann teilt das Schicksal vieler junger Männer: Mit 17 Jahren wird der Peckeloher eingezogen. Er gerät in französische Kriegsgefangenschaft, arbeitet schließlich auf einer Weindomäne. »Dort ging es uns eigentlich gut.« Als jedoch droht, dass die deutschen Kriegsgefangenen in Bergwerken und zum Minenräumen eingesetzt werden, beschließt der junge Mann, seine Flucht zu planen. Gemeinsam mit seinem Freund Robert will er als Liebespärchen getarnt aus Südfrankreich fliehen. Pfingsten 1947 wollen sie aufbrechen, sich bis nach Italien durchschlagen. Hans Wiltmann organisiert heimlich Frauenkleidung, bastelt sich im Versteck eine Perücke aus gefärbten Hanffäden, lässt von einem Schuster im Gefangenenlager Damenwanderschuhe fertigen.
Doch die Flucht muss er alleine antreten: Robert traut sich nicht, zu gehen. Für den damals 20-Jährigen gibt es jedoch kein Zurück. Er will nicht zurück in die Kriegsgefangenschaft, »und wenn mich 1000 Teufel jagen!«. Diesen Titel hat er auch seinem Buch gegeben.
Mit ständiger Angst vor dem Entdecktwerden, trotz geschundener Füße, einem Gletscherunfall schafft es Wiltmann nach Italien. Dank seines Schutzengels trifft er immer wieder Menschen, die ihm helfen -ĂŠeinen Schmuggler, der ihn aus einem eisigen Fluss rettet, eine hilfsbereite Familie in Italien, »die mich durchgefüttert hat, obwohl sie selbst kaum was hat«. Das Herz der Carabinieri gewinnt er mit seiner Verkleidung sofort. »Heute würde ich es nicht mehr machen. Ich habe wirklich einen guten Schutzengel gehabt.«

Artikel vom 11.02.2006