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Eine Springflut der Gefühle

Kammerspiele Paderborn zeigen »Gezeiten der Nacht«

Von Manfred Stienecke
Paderborn (WB). Mit dem Stück »Gezeiten der Nacht« der jungen britischen Autorin Rebecca Lenkiewicz setzen die Westfälischen Kammerspiele in Paderborn die Spielzeit fort.

Die Mitglieder der irischen Familie Kennedy sind Nachtschwärmer. Großmutter Lily scheint gar keinen Schlaf mehr zu brauchen - »Ich liege nicht gern in der Waagerechten«, spielt sie auf ihren nahen Tod an. Ihr Schwiegersohn Patrick verbringt die Abende am liebsten in der Kneipe, und die drei erwachsenen, aber noch im Hause lebenden Töchter ziehen ebenfalls auf der Suche nach dem kleinen Abenteuer ums Viertel. Die einzige, die fehlt, ist Esther. Die nur in den Gesprächen immer wieder präsente Mutter der jungen Frauen hat es schon vor Jahren nicht mehr ausgehalten und die Flucht nach London gesucht, wo sie sich gegenüber der Familie abschottet.
In den Nächten von Sligo, der irischen Kleinstadt, aber erleben die Gefühle der Angehörigen eine ständige Ebbe und Flut. Verstärkt werden die »Gezeiten« durch einen Fremden, den Schauspieler John Eastman, der für die Dreharbeiten an einem Film über den irischen Nationaldichter Yeats ein möbliertes Zimmer bei der Familie bezieht - und deren Zusammenleben gründlich durcheinander bringt. Vor allem Großmutter Lily ergreift die Chance, an die Träume ihrer Jugend anzuknüpfen, und erlebt an ihrem Lebensabend noch einmal eine - rein platonische - Romanze mit dem jungen Mann, dessen körperliche Nähe allerdings auch Enkelin Rose sucht.
Regisseurin Irmgard Lübke gelingt eine einfühlsame, dabei mit leichter Hand servierte Aufarbeitung des epischen Theaterstoffs, der in seiner Situations- und Charakterzeichnung in vielem an Tschechow (»Drei Schestern«) erinnert, ohne allerdings die dramatische Zuspitzung zu erreichen. Das Spielensemble macht die Entwicklung der einzelnen Figuren feinfühlig deutlich, wobei vor allem die Rolle der Großmutter mit der 77-jährigen Gastschauspielerin Ingrid Mirbach glaubwürdig und sympathisch besetzt ist. Zur Premiere gab es überaus herzlichen Applaus für einen anrührenden Theaterabend, der trotz der Spiellänge von drei Stunden wie im Fluge vergeht.
Die nächsten Aufführungen sind am 11., 16., 17., 18. und 19. Februar (Beginn jeweils 19.30 Uhr) im Theater am Rathausplatz. Karten können unter Ruf 05251/88-2634 reserviert werden.

Artikel vom 11.02.2006