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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Dr. Dr. Markus Jacobs


Alle sind wir im europäischen Westen überrascht. Mit einer solchen Entwicklung nach »einigen Karikaturen« hätte niemand gerechnet. Die Reaktionen scheinen fast anzuschwellen zu einer unkontrollierbaren Welle der Angriffe auf Botschaften, Einrichtungen und Menschen, die das »Westliche« oder gar das »Christliche?« repräsentieren.
Wer soll denn in diesem christlichen Westen Europas die Stimme erheben - angesichts der Tatsache, dass man hinter das Wort »christlich« in den meisten westeuropäischen Staaten getrost ein Fragezeichen machen kann?
Eine Stimme, die sicherlich weltweit gehört wird, hat jetzt gesprochen. Der Vatikan war schon von vielen Seiten aufgefordert worden, obwohl er selbst fern ab vom Herd des eigentlichen Geschehens zu sein scheint. Doch genau genommen war auch in dieser Distanz zu Dänemark der Vatikan bereits betroffen. Denn ein italienischer Priester, der gerade erst aus Rom von einem Treffen seiner Gemeinschaft zurückgekehrt war, die den Dialog mit dem Osten Europas fördern möchte, wurde in der Türkei nach der Messe auf offener Straße erschossen.
Der Vatikan also hat Stellung bezogen zum Streit um die Karikaturen Mohammeds. Hier ist seine Erklärung im Wortlaut: »1. Das Recht auf die Freiheit des Denkens und der Meinungsäußerung, wie es in der Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben steht, kann nicht das Recht darauf einschließen, das religiöse Gefühl der Gläubigen zu beleidigen. Dieses Prinzip gilt selbstverständlich in Bezug auf jede Religion.
2. Das menschliche Zusammenleben erfordert zudem ein Klima gegenseitigen Respekts, um den Frieden unter den Menschen und den Nationen zu fördern. Darüber hinaus zeugt jede Form erbitterter Kritik oder des Lächerlichmachens der Anderen von einem Mangel menschlicher Sensibilität. In manchen Fällen kann daraus unzulässige Provokation werden. Die Geschichte lehrt, dass das nicht der Weg ist, der die Wunden der Völker heilt.
3. Gleichzeitig muss gesagt werden, dass für die Beleidigungen durch einzelne Personen oder durch ein Presseorgan nicht die öffentlichen Institutionen des betreffenden Landes verantwortlich gemacht werden können, deren Verantwortliche sich gemäß ihrer jeweiligen Gesetzgebung einschalten können und gegebenenfalls müssen. Daher sind gewaltsame Protesthandlungen ebenso bedauerlich. Um auf eine Beleidigung zu reagieren, kommt man nicht ohne den wahren Geist jeder Religion aus. Reale oder verbale Intoleranz, von welcher Seite auch immer sie kommt, als Tat oder als Reaktion darauf, stellt immer eine Gefahr für den Frieden dar.«
Was ist hier gesagt? Zunächst: Jede Freiheit endet da, wo sie einen anderen verletzt. Und gerade religiöse Gefühle, die der scheinbar so aufgeklärte Mensch unserer Breitengrade sich angewöhnt hatte, lächerlich machen zu können, sind so verletzbar, dass großes Unrecht entsteht. Wenn man im übrigen der muslimischen Welt eines gewöhnlich nicht vorwerfen kann, dann dies, dass es christliche Glaubenszeichen oder Bilder lächerlich gemacht habe. Insofern ist der Bruch dieser Freiheitsgrenze tatsächlich einseitig.
Sodann: Die Erklärung spricht von den »Wunden der Völker«. Dies ist weise. Denn man kann die aktuellen Reaktionen nicht einordnen, wenn man sie nicht auf dem Hintergrund sehr vieler anderer Vorgänge der letzten Jahrhunderte und Jahrzehnte betrachtet, in denen sich die muslimisch-arabische Welt bereits gedemütigt fühlte.
Weiter: Die öffentlichen Organe oder Institutionen eines Landes seien nicht für die Äußerungen eines Pressorgans verantwortlich zu machen - dies ist jedoch Menschen aus Ländern schwer verständlich zu machen, in denen ihr Staat tatsächlich alle Presseorgane auch religiös kontrolliert.
Schließlich: Die Reaktionen auf Beleidigungen religiöser Gefühle dürfen »nicht ohne den wahren Geist der Religion« sein. Brand und Mord aber sind gegen den Geist jeder Religion.
In den augenblicklichen Vorgängen lernen wir alle sehr schmerzhaft. Hoffentlich setzt sich der wahre Geist jeder Religion auf allen Seiten durch.

Artikel vom 11.02.2006