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Die drogenfreie Fußball-Sucht

Ohne Nikotin und Alkohol fahren Arminias U16-Fans zu Auswärtsspielen

Von Dirk Schuster (Text und Foto)
Bielefeld (WB). Ein voll besetzter Bus, überall schwarz-weiß-blaue Insignien. Aus den überforderten Lautsprechern dröhnt Musik. Dichter Zigarettenqualm, unter den Sitzen rollen leere Bierdosen. Das ist das übliche Gesicht einer Fanfahrt zum Fußball-Bundesligaspiel. Dass sich die Reise zum Auswärtskick auch mit Butterkeksen und Sunkist-Päckchen bestreiten lässt, beweist das Fan-Projekt Bielefeld.

Jugendlichen DSC-Anhängern bietet es Touren zu Partien der Arminia in fremden Stadien an. Taschengeldfreundliche U16-Fahrt nennt sich das Angebot. Und ein Motto haben sich Ole Wolff und Jörg Hansmeier, die Leiter des Fan-Projekts, auch ausgedacht: »Die etwas andere Auswärtsfahrt ohne Nikotin und Alkohol«. Samstag war die Hamburger AOL Arena drittes Saison-Ziel der Nachwuchs-Fans im schulpflichtigen Alter. Hier ihr Stundenplan:
8 Uhr: Treffen. Dass nicht jeder der 50 angemeldeten Fans pünktlich ist, ist kein Wunder. Die Jugendlichen kommen aus ganz Ostwestfalen-Lippe. Für die Eltern ist es bei Winterwetter schwer, die Kinder termingerecht zum Alm-Parkplatz zu bringen.
8.20 Uhr: Abfahrt. Ein Platz im Bus ist frei. »Ein Wiederholungstäter«, weiß Ole Wolff. »Beim nächsten Mal kommt der nicht mehr mit. Die Nachfrage ist groß genug.« Wegen des enormen Interesses an der günstigen Mitfahrgelegenheit - Busfahrt und Eintrittskarte kosten zusammen zehn Euro - schreibt das Fan-Projekt sogar vor jeder Tour eine Warteliste.
8.30 Uhr: Erster Zwischenstopp. Ein Junge hat die Einverständniserklärung seiner Eltern vergessen, Busfahrer Bruno darum einen kleinen Umweg fahren müssen.
10 Uhr: Toilettenpause. »Macht's kurz«, bittet Wolff. Die Fans beeilen sich. Einer schreibt mit seinen Schuhen etwas in den Schnee: »HIER REGIERT DER DSC!« So viel Zeit muss sein. Unterwegs verteilt Jörg Hansmeier Fragebögen. Ein Quiz, das sich aufs Spiel bezieht. Manche Fragen sind knifflig, speziell die zum Gegner. Hansmeier: »Wir hoffen, dass die Kids auf andere Fans, auch die des HSV, zugehen, um die Antworten rauszukriegen. Die Begegnung ist uns wichtig. Damit sie merken, dass Fankultur nicht absolute Rivalität bedeuten muss.«
12 Uhr: Ankunft in Hamburg- Stellingen. Nur ein paar Kilometer von der AOL-Arena entfernt ist eine Soccer-Halle. Hansmeier: »Wir versuchen, bei jeder Fahrt ein Beiprogramm anzubieten. In Wolfsburg waren wir in der Autostadt, dieses Mal spielen wir ein Turnier mit gleichaltrigen HSV-Fans.« Ein Bielefelder Team gewinnt - leider kein gutes Omen.
14.30 Uhr: Nur noch eine Stunde bis zum Anpfiff. Im Bus wird's unruhig. Ole Wolff zieht einen Briefumschlag aus der Tasche. Inhalt: 50 Eintrittskarten für den Gästeblock. Steh- oder Sitzplätze? »Stehplätze«, sagt Wolff. »Die Kids wollen nicht sitzen. Die finden den Fan-Block viel interessanter.« Auf den Tickets steht »Ehrenkarte«. Hansmeier klärt auf: »Das sind Freikarten vom HSV. Beim Hinspiel war's umgekehrt. Da haben wir 50 U16-Fans aus Hamburg eingeladen. Nur so geht's. Mit den zehn Euro, die wir jedes Mal nehmen, decken wir lediglich die Fahrtkosten. Wenn das Geld nicht reicht, schießt das Fan-Projekt den Rest dazu.«
15.30 Uhr: Anpfiff. Der Gästeblock ist pickepackevoll. »Jeder kann stehen, wo er will. Hauptsache hinterher sind alle pünktlich am Bus«, sagt Hansmeier.
17.45 Uhr: Heimfahrt. Die Ruhe nach dem Sturm. Stille Enttäuschung übers Ergebnis. 1:2. Der Frust wird mit Orangensaft aus Sunkist-Päckchen heruntergespült, dazu Butterkekse und Schokolade genascht. Zur Beruhigung.
21.45 Uhr: Ein langer Fußball- und Arbeitstag geht zu Ende. »Nach 14 Stunden wissen Jörg und ich, was wir gemacht haben«, sagt Ole Wolff. Doch die Planungen für die nächste U16-Tour laufen schon. Am ersten April-Wochenende ist Hannover das Ziel. Nach der Fanfahrt ist vor der Fanfahrt.

Artikel vom 10.02.2006