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Union streitet über Rolle der Türkei

Schäuble dankt Erdogan - Ramsauer: Integration in die EU erschwert

Berlin (Reuters). Angesichts einer neuen Debatte um den EU-Beitritt der Türkei hat Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble ausdrücklich dem türkischen Ministerpräsidenten für mäßigende Worte im Karikaturstreit gedankt.

Schäuble erklärte nach einem Treffen mit Vertretern der regierenden türkischen Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei gestern in Berlin, er danke insbesondere Regierungschef Tayyip Erdogan für dessen Aufruf zur Mäßigung im internationalen Streit um die Mohammed-Karikaturen.
Zuvor hatte CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer betont, der Aufruhr im islamischen Raum zeige, wie wenig berechenbar dieser Teil der Welt sei. Die zum Teil gewaltsamen Proteste in islamischen Staaten würden den ins Auge gefassten Prozess der Integration der Türkei in die EU »eher erschweren«. Vertreter von CDU, SPD und Grünen sowie der Türkischen Gemeinde in Deutschland wiesen einen solchen Zusammenhang zurück und sprachen von besonnenem Verhalten der türkischen Regierung.
Die bayerische Europa-Ministerin Emilia Müller forderte die Türkei auf, im Karikaturstreit eine Vermittlerrolle zu übernehmen und verstärkt für ein Ende der Gewalt zu werben. Die Türkei möchte in die EU, was die SPD unterstützt. In der Union gibt es dagegen Vorbehalte. Ramsauer sagte, es zeige sich nun, dass die Union mit ihrer Position, die EU-Perspektive für die Türkei »gründlichst zu prüfen und langfristig anzulegen, völlig richtig liegt«. Bayerns Europa-Ministerin Müller sagte: »In der aktuellen Diskussion vermissen wir eine mäßigende Stimme der Türkei. Es würde der Türkei als EU-Beitrittskandidatin gut zustehen, hier vermittelnd tätig zu werden.« Mitglieder sowie auch Beitrittskandidaten der Europäischen Union (EU) müssten sich einig sein im Respekt vor den unterschiedlichen Religionen sowie in der Ächtung von Gewalt, sagte die CSU-Politikerin.
Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth griff Ramsauer scharf an. Der CSU-Politiker gieße Öl ins Feuer. »Wir brauchen keine weitere Stimmungsmache« sagte sie in Berlin. Es sei beschämend, wie Ramsauer den aktuellen Streit ausnutze, um anti-türkische Ressentiments zu schüren. Die Türkei habe ihre Bereitschaft zur Vermittlung erklärt, »darauf sollte die CSU nicht mit anti-türkischer Stimmungsmache antworten«.
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, nannte Ramsauers Äußerungen Unsinn. In der Türkei gebe es nur kleine Kundgebungen, aber keine Gewalt, sagte er dem Sender N24. »Ich denke, man muss jetzt der Türkei sehr viel mehr helfen, sie kritisch begleiten, damit sie in die EU kommt.« Kolat sagte, er sei sich ziemlich sicher, dass es in Deutschland keine gewaltsamen Auseinandersetzungen im Karikaturstreit geben werde.
Der außenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Eckart von Klaeden, verwies auf maßvolle Äußerungen Erdogans im Karikaturstreit. Erdogan habe Freiheitsrechte und den Respekt vor anderen in einen richtigen Zusammenhang gebracht. »Es gibt keinen Grund, unsere bisherige Politik gegenüber der Türkei zu ändern. Das würde nur Fanatikern und unverantwortlichen Führern in die Hände spielen«, sagte der CDU-Politiker. Deutschland habe ein innen- wie außenpolitisches Interesse« an der Heranführung der Türkei an die EU.
Ähnlich äußerte sich der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Gert Weisskirchen. Die aktuelle Situation zeige erst recht, dass sich »eine demokratisch immer stärker festigende türkische Republik als Anker der Stabilität erweisen kann.«

Artikel vom 10.02.2006