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War Tötung nur »minder schwer«?

Bundesanwalt pflichtet Revision bei

Bielefeld (uko). Die brutale Tötung eines Brackweder Autohändlers kommt möglicherweise erneut vor ein Bielefelder Gericht. Der wegen Totschlags zu elf Jahren Haft verurteilte Täter Ersüment C. (37) ist mit seiner Revision gegen das Urteil des Schwurgerichts jetzt ausgerechnet von der Karlsruher Bundesanwaltschaft unterstützt worden.

Der Busfahrer aus Heiligenhaus (Kreis Mettmann) war am 14. September 2005 wegen der Tötung seines Cousins Hassan C. zu elf Jahren Haft verurteilt worden. Das Schwurgericht des Landgerichts Bielefeld hielt den Mann jedoch nur des Totschlags für schuldig. Staatsanwalt Christoph Mackel hatte eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes beantragt. Die Verteidiger Rald Landrath und Detlev Stoffels hingegen hatten nur vier Jahre für angemessen gehalten, und zwar wegen eines minder schweren Fall des Totschlags.
Busfahrer Ercüment C. hatte am Morgen des 30. Dezember 2004 den Brackweder Autoverkaufsplatz seines in Bielefeld lebenden Bruders aufgesucht und dort nur den 26-jährigen Türken Hakan C. angetroffen. Dieser junge Mann hatte Monate zuvor die Cousine seiner Ehefrau gegen den Willen der Familie geheiratet. Obendrein hielt sich der 26-Jährige illegal mit falschen Papieren in Deutschland auf. Aus einer Fehde um gekränkte Familienehre war so im Laufe der Monate eine zunehmende Verfeindung entstanden.
In dem Verkaufscontainer war es zu einer folgenschweren verbalen Auseinandersetzung zwischen den Männern gekommen, in deren Verlauf der Busfahrer seinem Widersacher 32 Mal durch den Körper rammte. Die Tötung bezeichnete das Schwurgericht als »Abschlachtung eines Menschen«. Das Opfer verstarb noch am Tatort. Ercüment C. war danach nach Heiligenhaus zurückgefahren, wurde an seinem Wohnort am Nachmittag jenes Tages festgenommen. Die Waffe, die er nach Überzeugung des Schwurgerichts mit nach Bielefeld gebracht hatte, wurde nie gefunden.
Eine Planung der Tötung konnten die Richter nicht feststellen. Einen minder schweren Fall indes schlossen sie auch aus. Schwere Beleidigungen seien im deutsch-türkischen Kulturkreis an der Tagesordnung, zudem habe der Täter selbst den Grund für eine Provokation gesetzt.
Bundesanwalt Gerhard Fieberg unterstützte jetzt die Revision des Angeklagten. Eine Bewertung als »minder schwerer Fall des Totschlags« wegen einer schweren Beleidigung sei »nicht ausreichend berücksichtigt« worden. Daher sei das Urteil aufzuheben, der Bundesgerichtshof (BGH) solle den Fall zur Neuverhandlung nach Bielefeld zurückverweisen.
Während die Verteidiger die Unterstützung durch die Bundesanwaltschaft gestern freudig begrüßten, zeigte sich Mackel entsetzt: »Ich bin erschüttert. Ich hoffe darauf, dass der BGH dem Votum nicht folgt.«

Artikel vom 11.02.2006